Ein leuchtendes Rad hat sich ins Museum verirrt. Wie ein Riesenrad vom Jahrmarkt sieht es aus, setzt sich allerdings aus ganz alltäglichen Gegenständen wie Leitern, Stühlen und Leuchtstofröhren zusammen. Ergänzend findet sich daneben liegenden ein Pendant aus Tischen, die auf den ersten Blick fast wie dunkle Bildschirme anmuten. Beide Räder stehen symbolisch für kreisende Bewegungen, rollen gedanklich unmittelbar durch den Raum und sind doch gleichsam stillgelegt. „Das Figur-Grund Problem in der Architektur des Barock (für dich allein bleibt nur das Grab)“ lautet der sperrige Titel der raumgreifenden Installation, die sich aus Gebrauchsgegenständen sowie Museumsmobiliar aufbaut und hier erstmals seit 1985 wieder neu aufgebaut wurde.
Auf dem Jahrmarkt der Dinge dreht sich das Rad der Zeit unaufhaltsam weiter, jedoch ohne den auf unsicherem Stuhl hockenden Menschen, der stattdessen schicksalsergeben verharrt, dem alles Bestreben im Mühlrad vergeblich scheint.
Die Kunstsammlung NRW zeigt dieser Tage eine umfassende Werkschau des bisher international eher wenig bekannten Düsseldorfer “Modellbauer”. Zu Unrecht, stellte sein Schaffen doch bereits in den 1980er Jahren eine wegweisende Position innerhalb des Genres Installation, bezüglich Institutionskritik und Geschichtsbewusstsein dar. Die große Ausstellung vermittelt nun nicht nur einen ersten Eindruck vom komplexen Schaffen des Künstlers, sondern führt – von einem „Anfangsverdacht“ (Ausstellungstitel) geleitet – tief hinein in labyrinthische Installationen.
Eine davon ist das frühe Werk „Wartesaal“ aus dem Jahr 1997, das seit der documenta X nicht mehr öffentlich zu sehen war. 242 Bahnhofsschilder in 11 Metallregalen erinnern an die „Straßenbahnhaltestelle“ von Beuys, haben in ihrer Präsentation fast etwas Sakrales an sich. In der glatten und scheinbar perfekten Oberfläche spiegeln sich immer wieder die fragenden Gesichter der Besuchenden, die sich an einem Ort des Übergangs plötzlich selbst gegenüberstehen. „Wartesaal“ ist eine vielschichtige Beschäftigung mit dem infrastrukturellen Verbindungsnetz, das einerseits den Grundstein der Industrialisierung legte und andererseits den industriell organisierten Massenmord während der NS-Zeit ermöglichte. Den Nukleus der Installation bildet eine Kammer, vergleichbar einer Herzkammer, mit ähnlich einem Schrein in die Wand eingelassener Vitrine und darin den abgenutzten Spitzenschuhen der Tochter des Künstlers. Ein emotional bewegender Moment innerhalb der bürokratisch-kühlen Atmosphäre zwischen den sichtbeschränkenden Metallregalen.
Die Ausstellung „Der Mucha – Ein Anfangsverdacht“ erstreckt sich mit über 70 Werken auf beide Gebäude der Kunstsammlung, wo im K20 große Rauminstallationen und im K21 ein Parcours aus 13 Räumen als Abriss des über 40jährigen Schaffens auf Neuentdeckung warten. Im Ständehaus werden die Exponate der Wechselausstellung dabei nicht wie sonst üblich im Untergeschoss präsentiert, es 0 musste die Sammlung im zweiten Obergeschoss weichen. Zeit braucht es, die bedeutungsschweren Arbeiten zu ergründen, ist jeder Ausstellungsraum im Grunde eine eigene kleine Ausstellung für sich. Das gilt insbesondere für die beiden Komplexe „Frankfurter Block“, Muchas Antwort auf Beuys’ „Darmstädter Block“ im Hessischen Landesmuseum, und „Stockholmer Raum“ im K20, die im eigenen zerlegbaren Galerieraum mit voneinander unabhängigen Werken daherkommen.
Ein Highlight findet sich zu Beginn der Ausstellung im Ständehaus. Dort ist die Installation „Kopfdiktat“ zu sehen, ein an der Wand befindliches Archiv aus Aufzeichnungen des jungen Mucha. Fotografien hängen neben Texten in Schönschrift, die vom Tagesgeschehen erzählen und den Geist der Nachkriegszeit aufleben lassen. Aus Muchas erster Galerieausstellung 1980 stammend, repräsentieren die Arbeiten jeweils ein Lebensjahr. Sie bilden ein Scharnier zwischen Kunstproduktion und Biografie des Künstlers, einen Anfangspunkt für den beinah skulpturalen Umgang mit Sprache. Zudem bereiten sie einen einfacheren Zugang zum Werkschaffen als das unweit befindliche „Deutschlandgerät“, das hermetisch, dunkel, beinah bedrohlich wirkt.
Das „Deutschlandgerät“ stellt den Dreh- und Angelpunkt der Schau dar. 2004 geriet diese Rauminstallation aus der Sammlung Ackermans ins K21 und wurde im ehemaligen NRW-Plenarsaal wieder aufgebaut. Vor ein paar Jahren wollte Marion Ackermann den Raum anders nutzen und die Arbeit abbauen. Nach heftigem Protesten verblieb sie bis heute an diesem besonderne Ort. Mucha brachte 1990 mit dem Werk seinen Atelierboden auf die Biennale nach Venedig, wo er sich den deutschen Pavillon mit Bernd und Hilla Becher teilte. Die Installation verweist auf ein Produkt der Maschinenfabrik Deutschland AG, das als Deutschlandgerät bekannt wurde und eine hydraulische Spezialvorrichtungen zum Wiederaufstellen entgleister Schienenfahrzeuge bezeichnet. Der Bezug zum Mauerfall ist zeitlich wie inhaltlich unverkennbar. Gemeinsam mit einer animierten Fotodokumentation nimmt die Arbeit zudem direkten Bezug auf den deutschen Pavillon, dessen Nazi-Architektur auch im Rahmen der diesjährigen Biennale bei Maria Eichhorn abermals im Fokus steht. Ein Werk, das als kritischer Kommentar zur historischen Entwicklung der Bundesrepublik gesehen werden kann sowie zur wechselseitigen Beziehung zwischen Kunstschaffenden, Ausstellungssituation und Besuchenden.
Am Ende der Ausstellung steht fest, dass der Düsseldorfer Künstler seiner Zeit voraus war, es längst überfällig ist, sein historisches wie zeitgenössisches Werk mit einer so wuchtigen und sinnlich erfahrbaren Einzelschau in der Kunstsammlung zu würdigen.
Julia Stellmann