Ein Besuch auf Stand 422 lohnte sich. Hier hatte Axel Vervoordt aufgeschlagen. Unter den vielen Außergewöhnlichen und Ausgewählten ist er der Besondere, die Ausnahme. Wie er immer wieder überrascht und begeistert, verleiht diesem Kunsthändler aus Antwerpen Glanz, Ansehen und gerne auch einen Hauch von Mysterium. Längst ist das vor rund vierzig Jahren gegründete Unternehmen zur Axel Vervoordt Company gewandelt, ein Familienunternehmen, das Vervoordts ältestes Sohn Boris leitet, während sein jüngerer Sohn Dicky sich dem real estate widmet. Projektentwicklung, ein nicht minder profitabler Zweig. Axel Verwoort selbst hat sich zur émience grise seiner Company ernannt. Zusammen mit seiner Frau May hat er im letzten Jahr die Vervoordt Stiftung ins Leben gerufen. Zur Quadriennale in Düsseldorf (Sep. 2010 bis Jan. 2011) wird sich die Stiftung erstmals in der Langen Foundation auf der Raketenstation Hombroich vorstellen. Dem Werk von Jef Verheyen, dem belgischen Mitglied der ZERO-Bewegung, wird sie dort eine umfangreiche Ausstellung widmen. Vervoordt ist Mitglied im Vorstand der ZERO-Stiftung. Mit Artempo und In-finitum im Palazzo Fortuny in Vendig 2007 und 2009 hat er Kostproben seines Talents als Ausstellungsmacher gezeigt.
Als eines der wenigen Händlerunternehmen veröffentlicht die AVC Unternehmenszahlen. Der Umsatz stieg von 18,8 Millionen im Jahr 2004 auf 30,66 im letzten Jahr. Die Abteilung art and antiques steigerte ihren Anteil auf zuletzt 76 Prozent. In den beiden Häusern, dem Wasserschloß Gravenwezel und Kanal vor den Toren Antwerpens, sind 85 Mitarbeiter beschäftigt.
Doch zurück nach Maastricht. Mitten unter die prunkvollen, schwerbeladenen Altmeisterstände seiner internationalen Kollegen stellte Verwoordt ein Wabi-Regal – ein Nachbau einer Buddhistischen Bilbliothek aus dem Korea des 8. Jahrhunderts. Aus gebrauchtem Bauholz, nur leicht geweißt, stand dieses wandhohe Regal an beiden Seiten der geräumigen Messekoje. Darin als wesentliche Wabi-Objekte zwei irdene Teeschalen von Kichizaemon Raku mit dem Titel „Großer Meister des Schicksals”. Der hierzulande wenig bekannte Kichizaemon XV repräsentiert bereits die 15. Generation seiner Familie, der Raku aus Kyoto. Mit ihrem Fokus auf Monochromie und ihrer Einverständnis des Unvollkommenen verkörpern die Raku-Objekte in nahezu perfekter Weise das Wabi. Axel Vervoordt arbeitet zur Zeit an einem neuen Buch, „A Way of Wabi“, das noch in diesem Jahr erscheinen soll und tiefer in die Geheimnisse dieser alten und zugleich zeitgenössischen Kunst einführen wird. Wabi gilt ihm als die Kunst, Einfachheit als die ultimative Verfeinerung zu verstehen, die das Unperfekte und Unvollendete als unangestrengte Schönheit preist. Wabi bietet denn auch eine willkommene Alternative und Antwort auf die gegenwärtige Krise der Finanzwelt und der mit ihr verbundenen Konzepte. Das Wabi-Regal empfiehlt sich als „Billy“ für Fortgeschrittene. Lob der Einfachheit, Tradition und Avantgarde mühelos verbindend, Schlichtheit für alle Schichten, zeitlose Tonschalen statt Tierhälften in Formaldehyd, Mr. Wabi statt Dr. Hype.
Aber Axel Vervoordt wäre nicht der große Zampano der Abteilung art and antiques, wenn er das Wabi-Warenregal nicht gleich auch füllte mit ZERO-Kunst unserer Tage (Piene, Mack, Uecker, Verheyen, Fontana, Manzoni) und Gutai, dem asiatischen Ableger von ZERO. Dazu stoßen archäologische Fundstücke aus dem alten Ägypten und und eine 290 m hohe tjuringa der Aborigines, die bei Initiationsriten auf der Reise der Jünglinge zur Männlichkeit eingesetzt wurde. Zuletzt ein Paar Kangooroo-Stühle aus Indischen Rosenholz von Pierre Jeanneret um 1960.
Längst stellt Vervoordt keine prunkenden Spitzenwerke, keine Repräsentationskunst oder gar schillernde Spekulationsobjekte an die Rampe seines zentral im Altmeisterbezirk angesiedelten Standes. Der Meister der modernen Wunderkammer liefert eine ganze Lebensphilosophie samt dazu passender Inneneinrichtung an und falls es daran fehlen sollte, vermittelt er auch gern die dazu passende Immobilie. Verwoordt nutzt seinen Messeauftritt mehr als Marketingbüro für die gesamte Angebotspalette der Verwoordt Company. Es geht ihm um Sichtweisen und “Optimal Conditions”, ganz wie das Motto des neuen Hauptsponsors der Messe, AXA Art lautet.
Ist es hoch gegriffen, die TEFAF in Maastricht als tätigen Vulkan zu bezeichnen? Einerseits reichen seine Angebote in angeahnte Tiefen des internationalen Kunsthandels hinab bis zu einem nur 12,7 cm hohen Marmorkopf aus der Geometrischen Zeit, entstanden um 2500 v. Chr. (Rupert Wace Ancient Art, London) einem altägyptischen Utensil der Schönheitspflege aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. (Galerie Harmakhis) oder der reizenden hellenistischen Terrakottagruppe eines Lehrers mit seinem knabenhaften Schüler aus dem 3. bis 2. Jahrhundert v. Chr. bei Gordian Weber, Köln. Schon bei der Preview wechselte beim Londoner Antikenspezialist Charles Ede Ltd. für rund 200.000 Euro ein altägyptisches Mumienportrait Fayum den Besitzer – und doch verjüngt sich diese Kunstmesse von Jahr zu Jahr, nimmt Gegenwartskunst, Fotografie, modernes Design wie selbstverständlich in ihre Reihen zwischen Antikenhandel, Altmeistergemälde, Juwelen, und schwerbarocke Einrichtungsgegenstände auf.
Selbstverständlich begnügt sich diese Richtungsmesse nicht mit dem Ergebnis, daß 2010 “der Kunstmarkt in der Wirtschaftskrise stabil geblieben ist”. Schon das allein wäre ein Wunder in einem heftig erschütterten Umfeld. Doch hoch oben, nahe dem Gipfel, herrscht Unruh. Wie jede Messe will sie jung erscheinen und Rekorde melden: 171 Landungen von Privatflugzeugen wurden gezählt, 263 Händler aus 17 Ländern waren in diesem Jahr angereist, um den Reichen aus aller Welt zu zeigen, was andere Reiche (oder ehemals Reiche) aus ihren Sammlungen herauslösen und zu Markte tragen, damit es in anderen, zumeist privaten Sammlungen Aufnahme fände. Die Besucherzahl der TEFAF steigerte sich um etwa 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und liegt 2010 bei stolzen 72.500. Trotz des sich ständig verjüngenden Angebots – schon gut ein Drittel der Messe ist der Modernen und zeitgenössischen Kunst vorbehalten – wird das Publikum nicht jünger. Kein Wunder. Denn die Preise werden hoch gehalten, wie in den besten Zeiten des Booms. Während unten die Flut steigt, will man hoch oben trockene Füße behalten.
Das kann dazu führen, daß nur wenige Schritte voneinander entfernt, am Stand von Dickinson (London und New York) ein Spätwerk aus der Tahiti-Zeit von Paul Gaugin für 18 Millionen Euro angeboten wird und Sandro Botticellis wundervolle “Madonna mit Kind” aus den Jahren 1493 – 95 für (nur) elf Millionen Euro. Nur ein paar Schritte weiter bei Haunch of Venison steht man vor einem Glasbassin mit einem in der Mitte zersägtem Schwein in Formaldehyd von Damien Hirst und weiß nicht, über was man sich mehr wundern soll: über den Mut des Galeristen, dieses schwergewichtige Hirst-Schwein auf den Messestand gewuchtet zu haben, den fetten Preis von 8,8 Millionen Euro, oder doch über das Frühwerk selbst?
Bei Landau Fine Art aus Montreal konnte man das wohl teuerste Werk der Messe bestaunen, eine tischhohe Bronze von Alberto Giacometti für 24 Millionen Dollar (Auflage 4). Allein an diesem Stand voller exquisiter Werke der Klassischen Moderne belief sich die Summe aller feilgebotenen Werke auf rund 30 Millionen Dollar. Weder das eine noch das andere dieser Spitzenpreiswerke fand allerdings einen Abnehmer. Anders bei Bernheimer-Colnaghi (München und London). Hier fanden sich gleich in den ersten Stunden der Vernissage Käufer für fünf Gemälde. David und Bathsheba von Lucas Cranach dem Älteren (1472-1553) wechselte für 5,3 Millionen Euro an einen neuen Liebhaber. “Dies ist ein ermutigender Start und bestätigt die Position der TEFAF als führende Messe,“ erklärte Konrad O. Bernheimer prompt. Das bestechende Hochformat war auch im vergangenen Jahr schon am Stand zu bewundern. Mehr denn je zählt: zeitlose Qualität, gesicherte Werte und ein langer Atem. Alles Wabi?
C. F. Schröer
© Photographien: Burkhard Maus (Vielen Dank Burkhard!)