Kaum etwas scheinen wir derzeit dringender zu benötigen als Utopien – Ideen, Hoffnungen, Pläne, wie es weitergehen könnte, Wege in eine bessere Zukunft“, schätzt Ann-Kathrin Günzel im eröffnenden Essay „Utopia. Weltentwürfe und Möglichkeitsräume in der Kunst“ in dem von ihr vorzüglich ediertem Band 275, Kunstforum International.
Doch kein Wort zum The Palace of Projects (Palast der Projekte) von Ilya Kabakov, der seit nun zwanzig Jahren im „Weltkulturerbe Zeche Zollverein“ zu besichtigen ist. Dieser „Palast der Projekte“ scheint das Schicksal so vieler Utopien und Projekte zu teilen: Erst sorgen sie mächtig für Aufsehen, dann geraten sie in Vergessenheit, dann legt sich der Staub der Geschichte darüber. Am Stadtrand von Essen ist der „Palast der Projekte“ in einer Eventhalle untergebracht. Kabakovs Hauptwerk steht da wie abgestellt. Der Künstler ist bereits 1996 mit seiner Frau Emilia in die USA ausgewandert, wo er ein Studio auf Long Island unterhält und von dort aus weiter weltweit aktiv ist. Schon 2003 äußerte er Kritik am gescheiterten Vorhaben, in Essen ein Kabakov-Zentrum zu errichten (s. das Gespräch unten).
The Palace of Projects findet in Essen kaum Beachtung, Besucher “eher spärlich”, wie Marita Pfeiffer, Leiterin Geschichtskultur, Kommunikation und kulturelle Nutzung der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur bekennt. Der Stiftung gehört der “Palast“, es ist das einzige Kunstwerk dieser Denkmalstiftung aus Dortmund. Er wurde damals über die Galerie Clara Maria Sels für drei Millionen Euro angekauft. Zukunft ungewiss. “Gemeinsam wollen wir eine schöne Lösung finden”, wie man im schönsten Gremiendeutsch aus Dortmund hört.
Im Jahr 2001 wurde das Salzlager auf dem Gelände der stillgelegten Kokerei angrenzend zur Zeche Zollverein für drei Millionen Euro zu einem Ausstellungs- und Veranstaltungsort umgebaut. Seitdem beherbergt die Halle den rund 7 Meter hohen und 23 Meter breiten Palastbau mit 61 Projekten im Inneren, die Kabakov selbst in Essen einrichtete. Im alten Salzmagazin nebenan sollte ursprünglich das weltweit erste Archiv für das gesamte zeichnerische und druckgraphische Werk Kabakovs entstehen. Jetzt zog dort das Schaudepot des Ruhr Museums ein. Unsere Autorin Anastasiya Levchuk hat sich auf zu Kabakovs Hauptwerk gemacht.
Die grenzenlose Welt der Projekte
Es gibt nicht viele Kunstwerke, die allein aufgrund ihrer Größe nicht zu übersehen sind. Doch ist nicht allein die Größe ein Grund ein Kunstwerk zu loben, es muss dazu ein wesentlicher Inhalt kommen, und ein Maß an Unbestimmtheit, dass uns die Abgründe der (eigenen) Welt erahnen lässt, wie zum Beispiel beim The Palace of Projects von Ilya Kabakov. Nach einer Ausstellungstournee durch London (1998), Madrid, Manchester, Sankt Petersburg und New York steht die großartige Installation in Essen jedoch im Abseits. Ihre Dichte und Vielgestaltigkeit, was den Bau selbst wie die Themen betrifft, ist allerdings von hoher Aktualität.
Da steht er groß und mächtig in der weiten Industriehalle, Monument und riesiges Modell zugleich, isoliert und fremd. Wie er da im hinteren Drittel der Halle aufragt, erscheint er beinahe wie ein Altar in einer Basilika. Eines aber ist diese Holzlattenkonstruktion beileibe nicht: ein Palast.
Der geheimnisvolle Eindruck wird von einer Lichtinszenierung verstärkt. Der billige, spiralförmige Baukörper wird von Lichtstrahlern pathetisch beleuchtet. Wände und Decken sind aus lichtdurchlässigem Nylon gefertigt, das zwischen die Holzkonstruktion eingespannt ist. Das Licht im Inneren des Palastes ist also gefiltert, es entsteht eine zwielichtige, ephemere Atmosphäre.
Dieser „Palast“ ist die Ironie seiner selbst, eher Zikkurat oder utopische Architektur, Turm von Babel oder Echo auf Tatlins Turm für die Dritte Kommunistische Internationale. Wie dieses zentrale Werk des Großmeisters der Installation überhaupt in den Zweckbau einer stillgelegten Zeche geriet? Ironie des Schicksals? Oder eher ein Stück Politikerutopie, die auf den gescheiterten „Strukturwandel“ im Ruhrgebiet verweist?
Wir betreten diesen „Palast“ durch eine unscheinbare Tür und begegnen einer Polyphonie der Projekte. Jeder der Räume ist wie ein Klassenzimmer mit den kleinen Tischen und Stühlen konzipiert. Auf den Tischen befinden sich eine Beschreibung und Kommentare zu jedem amateurhaft wirkenden Modell, das aus keinen hochwertigen Materialien hergestellt ist. Während der Betrachter an einem Tisch in der speziell beleuchteten, leicht vergilbten Atmosphäre sitzt, kann er sich mit der Konzeption des Projekts vertraut machen und eine Erfahrung mit der Vermittlung der Idee unter Anleitung des Autors bekommen.
Die 61 Projekte, die detailliert ausgearbeitet sind, umfassen Miniaturmodelle, Gemälde und Schriften, die Lösungen für die Herausforderungen des täglichen Lebens und Vorschläge für persönliche Verbesserung darstellen. In den Texten sind Beschreibungen von mehr oder minder fantastisch anmutenden Ideen von fiktiven (?) Sowjetbürgern, die sowohl durch das Land als auch durch die Zeit voneinander getrennt sind.
Währenddessen tritt Kabakov als Graue Eminenz in Erscheinung. Alle Projekte tragen Titel, die ironische und absurde Elemente transportieren: “Radikale historische Umänderung eines Landes”, “Vorrichtung für die Ankunft von Gästen”, “Auf dem Topf sitzen”, “Bestrafung der Haushaltsgegenstände“. Die Spanne an Themen umfasst alle möglichen Verbesserungen, so die ökologische Umgestaltung der Umwelt, Vorschläge, wie man durch ein System von Pumpen und Rohren die “Wolke verwaltet“, oder auch wie man es anstellt, anderen zu vertrauen, oder sein Essen bekommt, ohne den Wohnraum zu verlassen.
Allesamt handelt es sich um vielleicht abstruse Ideen, jedoch handelt es sich im Kern und um soziale Vorschläge. Zu jedem der Projekte gibt es Handreichungen und praktische Anleitungen zur Umsetzung einer Idee in die Realität. Doch bei allem Pragmatismus haben die Instruktionen einen humorigen Twist, als sie selbst nicht an ihre Realisierungschance glaubten.
Der Palace of Projects ist Kabakov Reprise auf die andauernde Umerziehung im Sozialismus. Insofern kommt er im Innern so penetrant didaktisch daher. Die sechzehn Zimmer sind nach einem quasi-dikaktischen Prinzip aneinander gereiht, wie z. B. Verbesserung des Lebens anderer Menschen oder Vervollkommnung des einzelnen Individuums. Und wie bei allen solchen erzieherischen Maßnahmen, setzen wir voraus, dass die gesamte spiralförmige Installation einem Gesetz der Entwicklung oder doch einer Art Ziel folgt, das erst im letzten Saal im Obergeschoss als Kulmination endgültig erreicht wird. Genau hier allerdings sieht man sich verblüfft.
Während wir uns noch reihum durch die Räume arbeiten, taucht eine immens breite Treppe auf. Sie führt in einer sanften Biegung nach oben. Die Erwartung auf die Quintessenz des Gesamtwerkes, auf sein Ziel und finales Etwas steigt mit jedem Schritt. Doch sieht man, oben angekommen, bloß einen Haufen Müll auf einem weiteren Tisch. Abraumhalde der Projekte? Recyclingmaterial für weitere?
Die unendliche Geschichte der Projektemacherei
Diese aufsteigende Konstruktion verkörpert die Emanzipation vom alltäglichen Leben hin zu einer wie auch immer gearteten Ebene höheren Daseins. Dieser utopische Grundzug endet als Sackgasse. Es bleibt ein Müllhaufen, ein Resteberg, aus dem bei Bedarf neue Projekte, neue Utopien gebastelt werden können.
Kabakov dazu in einem Essay, den er zu seiner Installation eigens geschrieben hat:
„Indem wir das schier grenzenlose Gebiet von Utopien und Projekten untersuchen, beginnen wir zunächst in einem gigantisches Meer aller möglichen Vorschläge und Aufbrüche zu versinken, zudem in einer Fülle an Zielen und Ideen, die einst ihre Erfinder und Autoren geleitet haben.“
Die Welt sieht er zusammengesetzt aus einer Vielzahl an bereits realisierten und halb realisierten und gar nicht realisierten Projekten. Alles, was man um sich herum sieht und was möglicherweise die Zukunft ausmachen könnte – alles eine grenzenlose Welt der Projekte.
The Palace of Projects ist Kabakovs Zusammenfassung und Zenit seines Schaffens. Der Künstler fasst hier seine Sicht der Welt im Augenblick der Jahrtausendwende zum 21. Jahrhundert zusammen.
“Es ist jetzt das Ende des Jahrhunderts. Es gibt heutzutage die Illusion, dass erfundene Projekte einer großen Anzahl von Menschen, praktisch der gesamten Menschheit, irgendeinen Nutzen bringen und in die Realität umgesetzt werden können. Man kennt aus der Geschichte: je grandioser ein Projekt zu sein schien, desto mehr Opfer entsprachen seiner Größe. Das Ende des Jahrhunderts stellt ein Spiegelbild seines Anfangs dar, allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen. Diese Zeit, die mit der Illusion einer radikalen Veränderung des Lebens begann, mit kleinen und großen Utopien, endet mit der Ernüchterung über deren Ergebnisse und der Skepsis gegenüber jeder Utopie oder utopischen Schöpfung im Allgemeinen. Aber die Abschaffung des Utopismus – ist leider auch wieder eine Form des Utopismus.”
Mit ihren Projekten thematisieren Ilya und Emilia Kabakov eine Welt, in der gemeinschaftliches Handelns möglich ist, doch weisen sie auch auf die Vergeblichkeit und die Verstrickung des Menschen in seine Ideen und Ideologien hin. Der bürokratische Konflikt, der Irrgarten institutioneller Organisation, auch das wird mit dem Palast der Projekte eindrücklich vor unsere Augen gestellt.
Science-Fiction aus dem Geist des Mythos
Kabakovs Genre der „totalen Installation“, die in dem Aufbau des The Palace of Projects zu erkennen ist, wird im Wörterbuch der Begriffe der Moskauer Konzeptschule ausführlich definiert:
“Eine Installation, die auf dem Einschluss des Betrachters in sich selbst aufbaut und auf seine Reaktion in einem geschlossenen, fensterlosen Raum, der oft aus mehreren Räumen besteht, ausgelegt ist. Von grundlegender Bedeutung ist in diesem Fall die Atmosphäre, die Aura, die durch die Bemalung der Wände, die Beleuchtung, die Anordnung der Räume usw. entsteht, wobei die zahlreichen “üblichen” Teilnehmer der Installation – Objekte, Zeichnungen, Bilder, Texte – zu gewöhnlichen Bestandteilen des Ganzen werden.”
Die Räume in diesem Projekt sind keine realistischen Einrichtungen, sie dienen keiner konkreten Schulung. Kabakov schafft eine ästhetische Wirklichkeit, die das Gefühl der Vergeblichkeit erzeugt. Als strukturierte und innerlich differenzierte Unendlichkeit kann Kabakovs Installation als Metapher für das dienen, was Jacques Derrida espacement (Zwischenraum) nennt, durch das sich der grundlegende Vorgang der Differenzierung vollzieht, der wiederum die innere Zeit der Subjektivität erzeugt. In dieser “verräumlichten Unendlichkeit“ verweist jedes Zeichen auf eine unendliche Vielzahl anderer Zeichen und leitet seine Bedeutung zu einer Unendlichkeit von Ähnlichkeiten, Unterschieden, strukturellen Ordnungen und gegenseitigen Kommentaren ab. Daraus ergibt sich jene Bewegung, die in ihrer Unvollständigkeit und Unendlichkeit jeden eindeutigen Inhalt und jede eindeutige Definition überwindet, die gleichbedeutend mit Subjektivität ist.
Im seinem Palace of Projects vereint Kabakov die 61 Projekte anderer Autoren. In der westlichen Kunst scheint dieses Konzept kaum nachvollziehbar, da die Kunst im Westen stark von einzelnen Schöpfern (Urhebern) und einzelnen künstlerischen Individuen geprägt ist. Es gibt die Behauptung, dass der russische Konzeptualismus im Gegensatz zum westlichen sich auch auf die Codes der Darstellung des Sakralen in der modernen Kultur konzentrierte. Viele sowjetische Künstler haben sich einen quasi-religiösen Mythos geschaffen, eine persönliche, allumfassende Ideologie, um zumindest für sich selbst die objektive Bedeutung ihrer Arbeit zu garantieren. Aber in dem Moment, als der Glaube an solche Mythen verloren ging, blieb ein endloses Feld widersprüchlicher Interpretationen, Theorien, Geschichten und Mythologien zurück.
Viele Moskauer Konzeptualistengruppen funktionierten als kollektive Quasi-Institutionen. Es waren zwangsläufig hermetische Organisationen, die ironische und kritische Dekonstruktionen der Sprachen der sowjetischen Bürokratie und Ideologie produzierten. Anderseits geht es hier also nicht so sehr um die Kultur, die sich in der Sowjetzeit gebildet hat, sondern um die allgemeinen Auswirkungen der russischen Mentalität. „Mystische Erfahrung scheint“, wie Boris Groys bemerkte, “nicht weniger klar und transparent zu sein als wissenschaftliche Erfahrung.” Dies erklärt Kabakovs häufige Abkehr von den für den Moskauer Konzeptualismus charakteristischen Gesetzen der Logik zu einem intuitiven Ansatz. „Ohne die Krönung der mystischen Erfahrung scheint die schöpferische Tätigkeit in der russischen Tradition unvollständig zu sein.“ (Groys). Anderseits schätzt der einflussreiche Theoretiker des Moskauer romantischen Konzeptualismust1 ein, dass keiner der Moskauer Künstler sich für den russischen Kontext interessierte, sondern vielmehr für den Weltkontext.
Kabakovs Oeuvre erscheint uns heute als ein Instrument, das eine neue historische Lesart provoziert. Es zeigt wie künstlerische Disziplinen, aber auch geografische, historische und zeitliche Grenzen überschritten werden können. Hier lässt sich Kabakovs Palace of Projects als Projekt verstehen; aber eines, dass die physische Aktualität eines Aktes in einer Einfachheit der Idee entstehen lässt.
1 Der Moskauer Konzeptualismus kam zu seinem Namen durch einen Artikel von Boris Groys mit dem Titel „Moskauer Romantischer Konzeptualismus“ (Moskovskij romantičeskij konceptualizm), der 1979 in der Zeitschrift A-Ja in Paris erschien.
Redaktion: Anke Strauch
Aktueller Hinweis:
Im Rahmen von strike – a pose :
A UTOPIAN DREAM – wildpalms, Gerresheimer Straße 33, 40211 Düsseldorf
23.07.2021, 16–21 Uhr
24.07.2021, 12–18 Uhr
25.07.2021, 12–17 Uhr
„Willkommen im Paradies“ im NRW-Forum, Ehrenhof, Düsseldorf
27.Aug. 2021 bis 9.Jan. 2022
Eröffnung ist am 26.Aug.
Zeche Zollverein. In der alten Salzmagazin (Umbaukosten 4 Millionen Euro) wurde das neue Schaudepot des Ruhr Museums eröffnet. Nur sehr begrenzt zugänglich.
Im Gespräch mit Ilya Kabakov
“Ich bin Retrograd”. Oder: DER ORT DER UTOPIE IST DIE KUNST
Der “Vater der Rauminstallation” (Kabakov über Kabakov) versteht es, sein Publikum zu überraschen. Durften wir seine “Total-Installationen” bisher als sozialkritische Memento und Inszenierung der Erinnerung mit utopischem Gehalt schätzen, so klärt uns Kabakov jetzt auf, ein “unpolitischer Künstler” zu sein. Seine Werke seien keineswegs dazu anlegt, die Welt zu verbessern. Kunst wolle er machen, gar “reine Kunst”.
In Essen-Katernberg auf dem Gelände der “Zeche Zollverein” wollte er bis vor kurzem seine künstlerische Zentrale aufbauen. Doch sein dort aufgebauter “Palace of Projects”, für über 3 Millionen Euro von der NRW-Landesregierung angekauft, gerät ins Abseits. Der Exil-Künstler (geb. 1933 in Dnepropetrovsk, Ukraine ) mit Wohnsitz auf Long Island wartet auf neue Signale zur Vollendung des siebenteiligen Projekts.
Carl Friedrich Schröer traf den sowjetisch-amerikanischen Künstler in Köln, wo er “Den Beobachter”, seinen Beitrag für “Privatgrün II” des Kunstvereins Fuhrwerkswaage, auf dem Dach der Privatwohnung von Gerhard Rudolf Baum realisiert hat. Das Gespräch fand in Baums Dachwohnung statt.
C.F.S.: Was führt den weltreisenden Künstler Kabakov auf eine Kölner Dachterrrasse?
Kabakov: Mit Köln verbindet mich ein langjähriger Austausch. Es begann mit einer Ausstellung im Souterrain des Kunstvereins. Dann, einige Jahre später wollte Peter Ludwig seine Sammlung Russischer Kunst in der alten Kunsthalle zeigen. Kurze Zeit zuvor hatte er meine Installation im Russischen Pavillon auf der Biennale in Venedig gekauft…
C.F.S.: …er hat die Hälfte gekauft. Den einbezogenenen Pavillon mußte er doch in Venedig lassen. Warum haben sie damals ein halbe Arbeit verkauft?
K.: Den besten Teil mußte er in Venedig lassen. Ludwig wollte mir damals helfen. Ich verfügte über keinerlei Geld, um Projekte zu realisieren. Aber irgendwie sind wir jetzt auf einer Dachterrasse gelandet. Bleibt als nächste Station nur noch der Himmel.
C.F.S: Was zeigt uns ihre neue Kölner Installation?
K.: Es ist eine zerrissene Installation. Sie besteht aus einem Beobachtungsstand und einem Fernrohr und einer Szene in einem gegenüberliegendem Fenster einige hundert Meter entfernt. Der Besucher geht in eine Privatwohnung, nimmt aber an einer öffentlichen Aktion teil, eine Art Reality-show. Im Fenster gegenüber sieht man eine wunderliche Szene mit einem biblischen Hintergrund: zwei Engel sitzen mit zwei normalen Bewohnern zusammen zu Tisch. Natürlich spielt die Installation auf das unerklärliche Ereignisse an, Wunder, aber auch auf den täglichen Voyeurismus und die permanente Spionage, die Spähangriffe. Ich realisiere die Installation bereits zum Zweitenmal. Das erste Mal 1989 bei Arte all` Arte in der Toskana. – Eine sehr katholische Gegend dort. Engel werden dort mehr erwartet. Köln ist auch eine katholische Stadt, ganz anders, gewiss. Aber vielleicht wartet man ja auch hier auf Wunder.
C.F.S.: Wie geht es weiter mit ihrem “Palast der Projekte” auf Zollverein?
K.: Gute Frage. Drei Jahre lang haben wir mit viel Enthusiasmus am Aufbau der “Utopischen Stadt” gearbeitet, die sich auf sieben verschiedene Säulen stützen sollte. Alles ist im Projektstadium fertig. Im September werde ich das gesamte Projekt für Essen in der Kunsthalle Bielefeld erneut vorstellen. Natürlich verspricht das Auftrieb. Zur Zeit bin ich jedoch äußerst pessimistisch, was die Realisierung betrifft. Die Gründe sind mir unbekannt. Der Palast der Projekte sollte nur der Auftakt sein.
C.F.S: Haben Sie den Plan schon aufgegeben, dort ein Kabakov-Gesamtkunstwerk zu realisieren?
K.: Ich weiß nicht mehr, woran ich bin. Kein Lebenszeichen kommt mehr aus Essen, nachdem wir alles sorgfältig geplant hatten. Wenn nicht in Essen, dann wird die Utopische Stadt eben anderswo in der Welt realisiert. Wir sind geduldig, wir warten.
C.F.S.: Welche Projekte wollen Sie für die Kunsthalle Bielefeld realisieren?
K.: Die Lichtkuppel für die Oper in Bochum soll in einer besonderen Halle in Bielefeld aufgebaut werden.
Ich will eine “Kuppeltheater” aufbauen, eine Art Gesamtkunstwerk mit verschiedenen Bühnen für Theater, Musik und Bildende Kunst. Dann haben wir einen Erweiterungsbau für die Kunsthalle entworfen. Dem Direktor gefällt es gut. Es wäre unsere erste Architektur.
C.F.S.: Hoffen Sie weiter, einen Ort zu finden, wo sie auf Dauer und im großen Maßstab zeigen können, was Sie unter “Gesamtkunstwerk” verstehen”?
K.: Natürlich. Eine “Versammlung der Monumente der verlorenen Zivilisation “, ein Bezirk, eine kleine Stadt neben einem Museum etwa. Dort hinein kämen 37 verschiedene Installationen, die sich auf verschiedene Aspekte meines Lebens als Sowjetmensch beziehen, private, ideologische, religiöse. Insgesamt erscheint das in Form eines Labyrinths. Der Besucher verliert sich darin, um neue Gedanken, eine neue Welt aufnehmen zu können.
C.F.S.: Wo ist dieser Platz?
K.: In Finnland. Wir haben eine Einladung nach Finnland. Sehen Sie, viele Künstler haben mittlerweile ihr eigenes Museum und zwar in dem Land, aus dem sie stammen: Donald Judd in Texas, Tinguely in Basel und so weiter. Kabakov kommt aus einem untergegangenem Reich. Ich lebe mit meiner Frau in Amerika, aber wir sind keine Amerikaner. Wir sind Sowjetbürger, aber das existiert nicht mehr. So sind wir Teil von Atlantis. Für uns bedeutet ein Museum zu bauen, festzulegen, wo auf der Welt wir hingehören, wo hier unser Platz ist. Womöglich bleibt das utopisch. Daher ist mein Werk bisher oft ephemer, Projekt, Modell, Plan Skizze und Zeichnung.
C.F.S.: Ist das Scheitern damit Teil ihres Werks?
K.: Natürlich. Sogar Hauptteil. Ich sehe mich in einer langen Reihe russischer Kunst. Das meiste bleibt in Russland Projekt und Utopie.
C. F. S.: Utopien scheinen irgendwie gefährlich für die Menschen. Sobald Utopien um sich greifen, kostet es schnell Millionen Menschen das Leben. Wollen Sie mit ihrer Kunst tatsächlich Utopien verbreiten?
K.: Interessante Frage. Sicher, das 20. Jahrhundert war das schrecklichste Jahrhundert überhaupt, weil Leute wie Hitler oder Stalin die Utopie im wirklichen Leben verankerten. Sie machen ungeheuerliche Experimente mit Millionen lebender Personen. Utopien müssen aber im utopischen Bezirk bleiben. Also der Ort der Utopie ist die Kunst. Zum Beispiel im Palast der Projekte. Ohne Träume, Hoffnungen, Phantasie sind wir keine Menschen, doch die sollen sich im Raum der Kunst erproben.
C.F.S.: Wo sind sie heute zu Hause?
K.: Nirgends in der realen Welt. Auf einer Kunstinsel, im Kunstraum. Seit ich 1988 aus der Sowjetunion in den Westen übergesiedelt bin, lebte ich zuerst in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und nun seit 16 Jahren in den USA. Ich gehe nie aus und nehme am Leben dort nicht wirklich teil. Der wichtigste Ort für mich, ist der Ausstellungsraum, das Museum, verschiedene Kunsträume, wo auch immer auf der Welt. Mein Leben ist eine fortgesetzte Dienstreise will das Guggenheim Museum eine Ausstellung in die Eremitage nach St. Petersburg vermitteln. Die erste Ausstellung dort für mich. Aber ich bin kein russischer Künstler im Exil. Die alte Sowjetunion ist untergegangen, davon bin geprägt.
C.F.S.: Ihr Werk scheint mir eine deutliche Perspektive über die Grenzen der Kunst hinaus zu beinhalten. Der utopische Charakter vieler ihrer Installationen meint doch Kritik an der bestehenden Welt und zielt zuletzt auf Weltverbesserung?
K.: Der Kunstraum, in dem ich mich bewege, ist wie eine schöne Phantasie über die Kultur. Ich nehme eigentlich nicht am kulturellen Lebe teil. Das langweilt mich. Kunst ist für mich wie die Sehnsucht nach einer schönen Frau. Alles was ich will ist, die schöne Frau zu umwerben. Ein altes romantisches Motiv. Ich will nichts zerstören, nichts verändern. Ich fürchte, ich gehöre damit mehr ins 19. als ins 20. oder 21. Jahrhundert.
C.F.S.: Sind Sie ein unpolitischer Künstler?
K.: Absolut. Prinzipiell. Der Kosmos der Kultur ist größer, als der politische. Das hat schon Malewitsch gesagt.
Ich bin Retorgrad.
C.F.S.: Von ihrem Werk aus gesehen sind Sie weniger Romantiker. Sie sind ein Erneuerer, sie haben der Rauminstallation zum Durchbruch verholfen. Beginnen Sie bald wieder zu malen?
K.: Die Entwicklung der Rauminstallation hatte schon sehr mit meiner Emigration aus der Sowjetunion in den Westen zu tun. Im Westen spielt das Objekt eine ungleich bedeutendere Rolle, der Raum ist eher neutral. In der Sowjetunion kam dem einzelnen Objekt geringere Bedeutung zu, aber dem Raum und seiner besonderen Aura kam hohe Wertschätzung zu. Polizeistation, Schule, Kino sind viel dort eindeutiger unterscheidbar. Dem einzelnen Objekt kommt keine zentrale Rolle zu, es bleibt Teil des Zusammenhangs. Kunst, gute Kunst ist immer Balance zwischen Detail und Zusammenhang, Michelangelo zum Beispiel.
C.F.S.: Eine Selbsteinschätzung bitte. Welche künstlerische Position nimmt Kabakov heute ein?
K.: Ich bin ja einer der Urväter der Konzeptkunst und der sich daraus entwickelten Rauminstallation. Warum? Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Der Weg der Installationskunst ist unklar, eine Vorhersage unmöglich. Aber die Installation vermag viele Materialien, Ideen und Bedeutungsschichten zu integrieren, das ist großer Vorteil. Mein Interesse ist ähnlich dem von Joseph Beuys und Edward Kienholz. Sie arbeiten mit Vergänglichkeit, mit Zeit. Meine Räume funktionieren wie Zeitmaschinen. Sie versetzen die Besucher in eine andere, unbekannte Zeit. Und zwar körperlich. Nur diese drei Künstler verstehen diese Position, deshalb ist der Tod Thema ihrer Arbeiten.
C.F.S.: Mein Dank für dieses Gespräch
“Arbeit, Essen, Angst” + Kabakov-Installation in der Kokerei Zollverein, KUNSTZEITUNG, 9/2001,
Zechenleben
Design, Kunst und Kritik – was aus „Zollverein“ noch alles werden soll
Der Vergleich mit den Dinos hinkt. Es war keine Naturkatastrophe, die das Zechensterben im Ruhrgebiet unausweichlich machte, es sind ökonomische Erwägungen. Mit Kohle, Koks und Co. läßt sich heute nichts mehr verdienen. Die steigenden Löhne lassen die Loren leer. Also stehen die Kumpels als Arbeitslose vor den geschlossenen Werktoren und staunen: „Zukunststandort“ heißt jetzt ihr stillgelegter Schacht und rostet. Ausgerechnet zwei besonders traurige Giganten der alten Schwerindustrie – die 1986 stillgelegt Zeche Zollverein und die benachbarte, 1993 geschlossene Kokerei Zollverein in Essen-Katernberg – sollen zu einem „pulsierenden Wirtschafts-, Kultur-, Industrie- und Tourismusstandort der Zukunft werden“.
Die Zeche, zwischen 1927 und 1932 vom Gespann Fritz Schupp und Martin Kremmer erbaut, will man gerne zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wissen, und entsprechend wird mächtig geplant, gebaut und gegen die Pleite angetext: „Dies ist nicht nur ein Industriedenkmal von Weltrang“, läßt sich beispielsweise der Vorsitzende der Industriedenkmalstiftung Wolfgang Roters vernehmen. „sondern ein Ort der Sehnsucht, ein Ort der Visionen und ein Zukunfststandort par excellence, der weit über die Grenzen der Stadt Essen hinaus strahlen wird.“ Hut ab und Glück auf.
Zehn Jahre lang leistete die IBA Emscher Park Pionierarbeit, um Zollverein als Industriedenkmal zu erhalten und doch als Designzentrum zu profilieren. Das NRW-Design Zentrum hat sich beispielsweise im alten Kesselhaus angesiedelt. Unlängst wurde eigens eine Entwicklungsgesellschaft Zollverein mbH (EGZ) geründet, das Land NRW und die Stadt Essen sind die Träger, um das 100 Ha große Industrieareal einem neuen Nutzungsmix aus Gewerbepark, Ausstellungsgelände, Kunst- und Eventareal zuzuführen, auch um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Vier „Bausteine“ will die EGZ in der zweiten Investitionsphase zusammenbringen: einen Gewerbestandort „Designpark“, die Weiterbildungseinrichtung „PlattformDesign“, eine Design-Weltausstellung „Metaform“ und das „Ruhr-Museum“ zur Natur-und Kulturgeschichte des Ruhrgebiets, das besonders dem Essener Kulturdezernenten Oliver Scheydt am Herzen liegt.
Natürlich darf die Kunst nicht fehlen. Auf der Abraumlandschaft hinter Schacht XII hat Ulrich Rückriem ein Ensemble von Steinskulpturen plaztiert. Eine stille Hinterlassenschaft aus den IBA-Tagen. Aus dem ehemalige Salzlager auf der „weißen Seite“ der Kokerei ist nach dem Umbau durch den Essener Architekten Heinrich Böll eine Halle geworden, um „The Palace of Projects“ des russisch-amerikanischen Künstlerpaars Ilya und Emilia Kabakov „für immer“ beherbergen zu können. Neben diesem zentralen Werk, wird im angrenzenden Salzmagazin das weltweit erste Archiv für das gesamte zeichnerische und druckgraphische Werk Kabakovs entstehen. Sechs Millionen Mark öffentliche Gelder konnten für das Kabakov-Zentrum aufgebracht werden. Seit diesem Frühling hat ein zunächst auf fünf Jahre befristetes Kunstprojekt „Zeitgenössische Kunst und Kritik“ in der Kokerei – „schwarze Seite“ den Betrieb aufgenommen. Mit einem aus drei Teilen bestehenden Ausstellungsreigen unter dem schön-mehrdeutigen Titel „Arbeit Essen Angst“ wird in diesem Sommer erstmals Position bezogen. Gerne möchten sich die Einzelprojekte und künstlerischen Arbeiten von meist jüngeren Künstlern „bewußt in Opposition zu einer übergeordneten Gesamtplanung, welche der Kunst die Aufgabe zuweist, kulturelle Leitbilder und Images für das Stadtmarketing zu produzieren“, verstehen, wie der künstlerische Leiter des Projekts Florian Waldvogel im Katalog schreibt. Wo genau bei soviel Zollverein-Marketing und Designerei der Ort der Kunst liegen wird, läßt sich noch nicht absehen. Schöner Nebeneffekt für den Nahbereichstourismus oder doch „Werkstatt praxisorientierter Kritik“, wie Waldvogel hofft?
The approach is courageous and it will be exciting to see to what extent the art project can succeed on the back of the industrial giant in making a virtue out of necessity: leading the art world from the sidelines back to areas of social conflict. The most spectacular artistic contribution so far is the “Werksschwimmbad” by the Frankfurt artists Dirk Paschke and Daniel Milohnic on the roof of what was once Europe’s largest coking plant. This functions as a public bathing facility as well as an expression of the most beautiful symbolism.