medimops de. bietet die Sonderausgabe von August Sanders Buch Antlitz der Zeit an. Sechzig Portraitaufnahmen deutscher Menschen des 20. Jahrhunderts, Schirmer Mosel-Verlag, 5,56 Euro.
Auf ebay kann man aktuell die Erstauflage von 1929 ersteigern. Mit einer Einleitung von Alfred Döblin, München, Transmare-Verlag u. Kurt Wolff, 60 Tafeln. Gelber Originalleinen. „Der helle Einband und der vord. freie Vorsatz nur minimal braunfleckig, sehr gutes und sauberes Exemplar.“ Einstiegspreis 2.600 Euro.
Noch besser 70 Portraits aus „Menschen des 20. Jahrhunderts“ 1912-32, Silbergelantineabzüge von Gunter Sander 1961-63. Unikate, zu Lebzeiten August Sanders entstandener Satz großformatiger Ausstellungabzüge., Schätzpreis: 300.000 bis 500.000 Euro.
Dreimal Sander, dreimal verlockend
Wie man sieht, kann die Preisspanne bei Fotografien ein und desselben Fotografen beträchtlich sein. Sander-Fotos der gleichen Werkreihe werden verramscht oder erzielen Höchstpreise, hängt ganz vom Abzug ab: vom Jahr des Abzugs, vom Format, von der Höhe der Auflage, vom Erhaltungszustand und selbstverständlich von der Provenienz. Seltenheit ist auch bei Fotografien eine besondere Qualität, obwohl doch die Fotografie das Reproduktionsmedium par excellence ist.
Der Satz, der bei Grisebach am 27. November zum Aufruf kommt, hat höchste Seltenheitsstufe, er ist sogar einmalig. Warum dann die äußerst vorsichtige Taxe? Im eigens für diese Offerte publizierten Katalog gibt das Berliner Auktionshaus als Provenienz „Europäische Unternehmenssammlung“ an. Das ist sehr vage. Auch auf mehrfache Nachfragen schweigt sich Diandra Donecker über die Herkunft aus. Als Nachfolgerin von Florian Illies ist sie erst seit Jahresbeginn Sprecherin der vierköpfigen Grisebach-Geschäftsführung. Donecker, in der Villa Gisebach als Fotoexpertin groß geworden, verschleiert die Herkunft der 70 Sander-Werke. Sie stammen nämlich aus dem Besitz des dubiosen Art Photography Fund, APF. Und nicht nur das: APF ist auf den Cayman Inseln registriert, im westlichen Karibischen Meer.
Fotografie als „Passioninvestment“
abandoned – verwaist, steht heute auf der APF homepage. Etwas weiter links „Domain erwerben. Sie können die Domain artphotographyfund.com für 499 USD vom Inhaber kaufen.“ Bisher hat niemand angebissen.
Im Dezember 2007 wurde APF in Wien vom Hedge-Fonds-Manager Friedrich Kiradi zusammen mit dem Galeristen Johannes Faber und dem Sammler Alexander Spuller gegründet. Laut Aussage der Drei vom APF war es der weltweit erste Investmentfonds für Kunstfotografie. Kiradi ist auch geschäftsführender Gesellschafter der Merit-Gruppe und zugleich Geschäftsführer der Merit Alternative Investments GmbH mit Sitz auf dem Schottenring in Wien. Von dort aus managt er Fonds in den Bereichen Managed Futures, Absolute Return/Equity Hedged sowie Rohstoffgeschäfte. Merit dealt vor allem mit Real Assets. Zu dieser Anlageklasse zählt das Investment-Unternehmen neben Rohstoffen auch Kunst, mit dem Art Photography Fund als Anlagevehikel. Der Fonds erreichte 2008 ein Volumen von knapp zehn Millionen Euro, mit denen schnell etwa 1100 Werke erworben wurden. „Wir befinden uns in einem kleinen, überschaubaren Markt von ein paar Tausend Spezialisten und Sammlern weltweit. Das sind Museen, Kenner und Liebhaber.“ Ziel ist es „in diesem Segment die wichtigste Fotosammlung weltweit zu werden, die Ikonensammlung der Fotografie“. Bescheiden klingt anders.
Kiradi war zwischendurch auch wirtschaftlicher Leiter des Wiener Kunstfonds Art Vectors Investment Partnership, den der russische Investor Sergey Skaterschikov eigens aufgelegt hatte, um über diesen Fonds Ankäufe auf seiner eigenen Messe VIENNAFAIR zu organisieren.
Der Foto-Fonds wurde als „Passioninvestment“ jahrelang erfolgreich an Anleger vertrieben. Als im November 2011 auf einer Christie´s Auktion in New Yorker Rhein II von Andreas Gursky 4,3 Millionen Dollar erzielte und damit alle Rekorde für einen einzigen Foto-Abzug weit hinter sich gelassen hatte, begann sich die Foto-Blase aufzublähen. Schon ein Jahr zuvor war der Fine Art Invest Fund in London aufgelegt worden, spezialisiert auf zeitgenössische Fotografie nach 1970.
APF in Wien blieb bei der Klassischen Moderne. Besonders Werke zwischen 1890 bis 1970 standen im Fokus ihres Interesses “Wertvoll sind vor allem kleine schwarz-weiß Bilder im A4- oder A5 Format”, schätzte Galerist und Fondsmanager Faber. Und stieg groß bei Sander ein. Faber kaufte bei Gerd Sander in Köln die 70 Portraits letzter Hand. Wie viele Werke der APF insgesamt erworben hat, ist unbekannt, auch wo sie verblieben sind. Auf der Herbstauktion Moderne und Zeitgenössische Fotografie bei Grisebach „das führende Haus für Photographie in Deutschland“ (Eigenwerbung) wird wohl Einiges davon wieder auftauchen.
Anfangs wurden den Anlegern zweistellige Renditen p.a. versprochen. Kiradi kam auch mit Museen ins Geschäft. Für Januar 2017 kündigte die Albertina in Wien eine August Sander-Ausstellung an, „bei der alle Werke aus dem Fondsbesitz stammen. Das sagt viel über die Qualität der erworbenen Werke aus.“ frohlockte der Fondsmanager damals. Der Fonds ging in die Knie, die Ausstellung wurde abgesagt. Auch dieser Fonds hielt nicht, was er versprach. Erinnerungen an den Berenberg Art Capital Fund, einst von Helge Achenbach ins Leben gerufen, werden wach.
Als die Renditen auf dem Fotomarkt mau wurden, versuchte man die Schwarz-Weiß-Ware in Galerien und auf Auktionen zu Geld zu machen. Auch Sanders seltener Satz kam wieder auf den Markt. Zunächst versuchte sich Johannes Faber selbst mit dem Weiterverkauf. Doch fand sich niemand, der einen Preis von 1,3 Millionen Euro zu zahlen bereit war. Die Galerie Berinson übernahm in Kommission. Im Januar 2017 kam es zum ersten Mal nach über 50 Jahren wieder zu einer Ausstellung aller 70 Sander-Portraits in den neuen Berliner Galerieräumen.
Auch auf der Art Basel kam es wenig später zu einer glänzenden Präsentation der Sander-Folge. Ein Käufer fand sich indes nicht. Selbst die Züricher Galerie Hauser und Wirth winkte ab; sie hatte es Anfang 2017 übernommen, den Familien-Nachlass von August Sander gemeinsam mit Sanders Urenkel Julian zu betreuen.
Marktfrisch ist anders
Was blieb, war der Weg ins Auktionshaus. Donecker konnte APF, oder deren Resteverwerter, zumindest überzeugen, die seltene, noch von August Sander (* 17. November 1876 in Herdorf/Siegerland; † 20. April 1964 in Köln) für eine Ausstellung im Feuerwehrsaal seiner Geburtsstadt zusammengestellte Auswahl nicht zu zerschlagen. Sie wird in einem Los aufgerufen. Das dürfte weniger Ertrag bringen, aber die Chancen erhöhen, daß diese Summa von Sanders ausgreifendem Werke, eine universeller Topographie seiner Zeit, nun doch an ein Museum geht.
Wie viele Aufnahmen August Sander ursprünglich für die Ausstellung in Herdorf vorsah, läßt sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen; bei drei frühen Arbeiten mußte er auf Copy-Prints zurückgreifen, die Negative waren 1961 wohl verloren (der Grisebach Katalog verschweigt auch das).
Reine Menschenbildnisse – Topographie der Zeit
Bereits um 1924 hatte Sander sein titanisches Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ entworfen, in dem er mehrere Hundert seiner Portraits von Menschen unterschiedlicher Stände, Klassen, Kasten und Berufsgruppen entsprechend einem von ihm angelegten Konzept über Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Bildmappen zusammenführen wollte. Der große Plan blieb unvollendet. Sanders „Gesellschaftskunde in Photographien“ wollte ein Querschnitt durch seine eigene Zeit sein. Tatsächlich gilt Sanders „absolute Photographie“ als ästhetisch und konzeptionell völlig neu, Maßstäbe setzend und als das realistische Antlitz der Weimarer Republik.
Sander hing dabei einer heute obsoleten Ständeideologie und einem Fortschrittsoptimismus an: „vom Land, vom Bauern, in die Stadt, zum Fabrikproletarier. Die proletarische Mutter, der Kohlenträger.
Diese Verschiebung bedeutet auch eine politische Wandlung. Mächte von gestern schwinden, neue verlangen ans Licht. … Eine neue Welt will sich bilden. Werkstudenten, Menschen einer neuen Zeit.“ 1927 werden erstmals Teile seines Werkes im Kölner Kunstverein ausgestellt und zwei Jahre später in dem Bildband “Antlitz der Zeit” publiziert. 1934 beschlagnahmen die Nationalsozialisten die Restauflage des Buches und vernichten die Druckstöcke.
Das Reizvolle dieser Auswahl liegt in der Möglichkeit, Sanders Entwicklung zum Lichtbildner „reiner“ Portraits nachvollziehen zu können. Da finden sich keineswegs nur klassische Portraits. Wir sehen Doppel- und Gruppenportraits ebenso wie Momentaufnahmen.
Erst um 1921 findet Sander zum „typischen“ Einzelportrait, das sein Werk später ikonisch machen sollte. Der Einzelne wird als Produkt seiner Umgebung, seiner Klasse, der Arbeitsverhältnisse, in der er lebt, gezeigt. Mit der im Habit mit Skapulier und Brustschleier gekleideten Nonne, eine Klarissin, vermutlich Johanna Röder OSC, gelingt ihm dies eindrücklich.
Aufgenommen in seine Auswahl der 70 Portraits hat Sander auch den „Kunsthändler“. Lange war unklar, um wen es sich hier handelt. Es ist Sam Salz (* 12. März 1894 in Radomyśl Wielki, Galizien; † 21. März 1981 in New York City). Den Sohn eines Torah Gelehrten zog es im Alter von 17 Jahren nach Wien, um an der K. und K. Akademie der Bildenden Künste Malerei zu studieren.
Im Ersten Weltkrieg diente er in der österreichischen Armee. Als der Krieg verloren war, zog Salz nach Paris, um sein Studium fortzusetzen, gab aber schon nach kurzer Zeit seine künstlerischen Pläne auf. Er wollte im Kunstmarkt aktiv zu werden. So wurde er Freund des Kunsthändlers Gaston Bernheim-Jeune und arbeitete für Ambroise Vollard. Anfang der 1920er eröffnete Salz seine Galerie in Köln, verkaufte erfolgreich Werke von Marc Chagall, Hans Arp, Georges Braque und James Ensor. Hier begegnete er auch August Sander. Dann kamen die Nazis, Salz siedelt nach New York über und wird reich mit seinen Bildern.
Wie leicht hätte Salz in Wien dem freischaffender Kunstmaler Adolf Hitler über den Weg laufen können, der sich 1907 um Aufnahme an der Wiener Akademie bemühte. Auch Hitler wollte Malerei studieren. Auf das Aufnahmeschreiben hatte er vergeblich gewartet. Die Folgen sind Weltgeschichte.
Allein dieses eine Antlitz zeigt, welchen Schatz über alles Photographische hinaus die Sander-Sammlung birgt: Einzelschicksale, die bei aller Einzigartigkeit eingebunden in die Zeit ihrer Lebensspanne erscheinen. So einzig dieser Kunsthändler hier in seinem Fischgrätmantel und breitkrempigem Grey Fedora auch vor uns tritt, so exemplarisch verlief sein Leben.
Redaktionelle Mitarbeit: Anke Strauch
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Tauziehen um den Becher-Nachlaß
Die SK Stiftung in Köln hat 1992 den künstlerischen Nachlass Sanders (10.500 Negative und 5.500 Originalabzüge inklusive der Bildrechte) erworben und war damit einer Abwanderung nach Amerika zuvor gekommen. Seit 1992 organisierte sie an die 100 Ausstellungen zum Werk von August Sander und veröffentlichte zahlreiche Publikationen. Zwischen 1992 und 1999 wurden Modern Prints angefertigt, an denen neben Susanne Lange und Gabriele Conrath-Scholl auch Sander Enkel Gerd mitwirkte. Abzüge vom Negativ nach dem Tod des Fotografen gelten nicht als Original oder Vitage-Print. Genau genommen sind es Neuinterpretation, da der Fotograf nicht an der Herstellung der Abzüge beteiligt war. Über den Umfang dieser posthumen Abzüge wird Stillschweigen bewahrt. Aus diesem Konvolut und späteren Auflagen speist sich bis heute ein Großteil des Sander-Familiennachlasses.
Aus diesem Neudruck stammen auch jene 619 Bilder des berühmten und vielfach publizierten Mappenwerks „Menschen des 20. Jahrhunderts“ die das New Yorker Museum of Modern Art 2015 von der Familie Sander kaufte. Um ihre Neuerwerbung zu würdigen, startete das MoMA das auf fünf Jahre angelegte „The August Sander Project“. Führende Kunsthistoriker, Kuratoren, Künstler und Wissenschaftler arbeiten seitdem das sieben Mappen umfassende Werk auf. Die Kölner SK Stiftung blieb außen vor.
Eine weitere Mappe aus der Kölner Nachdruckaktion wurde zuletzt im Februar 2017 in der Ausstellung „Serialities“ bei Hauser & Wirth New York zum Verkauf angeboten. Kurz zuvor hatte die Galerie angekündigt, gemeinsam mit dem Sander-Urenkel Julian den Nachlass von August Sander zu betreuen.
August Sander: Verfolger/ Verfolgte, Menschen des 20. Jahrhunderts, nennt sich eine aktuelle, sehenswerte Ausstellung des Mémorial de la SHOAH in Paris, bis 15. Nov.
Der August-Sander-Preis für Porträtphotographie wird 2020 zum zweiten Mal vergeben.
Zeitgenössische künstlerische Ansätze im Sinne der sachlich-konzeptuellen Photographie sollen gefördert werden. Der Preis richtet sich an deutsche und internationale Künstler/innen bis einschließlich 40 Jahre mit dem Schwerpunkt Photographie. Der Preis wird von Ulla und Kurt Bartenbach gestiftet und ist mit 5.000 € dotiert. Eine Ausstellung mit Arbeiten des Preisträgers/der Preisträgerin steht in Aussicht. Die Jury: Rineke Dijkstra, Künstlerin, Amsterdam; Douglas Eklund, Kurator, The Metropolitan Museum of Art, New York; Prof. Dr. Ursula Frohne, Kunsthistorikerin, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster; Dr. Anja Bartenbach, Stifterfamilie, Köln und Gabriele Conrath-Scholl, Leiterin der Photographischen Sammlung. Einsendeschluss ist der 24. Januar 2020.
Die Ausschreibung kann hier aufgerufen werden.