
Höhepunkt des Abends war vielleicht der Auftritt von Margot Friedländer. Mit 101 Jahren trat die Holocaust-Überlebende an die Bühne, wandte sich nach dem Konzert an das Publikum im ausverkauften Theater. Sie sprach leise wie gewohnt: „Es gibt kein jüdisches, kein muslimisches, kein christliches Blut, es gibt nur menschliches Blut“, sagte sie. „Seid doch Menschen“, rief sie noch.
Margot Friedländer starb am letzten Freitag in ihrer Geburtsstadt Berlin (geboren am 5. November 1921 in Berlin als Anni Margot Bendheim; gestorben am 9. Mai 2025 ebenda). Sie war eine deutsche Überlebende des Holocausts, die als Zeitzeugin offen berichtete und sich gegen das Vergessen engagierte.
Der Fotograf Markus C. Hurek erhielt 2023 für seine Aufnahme den Deutschen Preis für politische Fotografie als bestes Bild des Jahres.
Hurek (1972 in Berlin geb.) arbeitet als Journalist und Fotograf. Seine Aufnahme machte er Ende 2023 für den Focus, dessen Ressortleiter Politik er seit 2010 ist. Zusammen mit Wolfram Weimer, dem neuen Kulturstaatsminister, war er Mitgründer des Magazins Cicero aus dem Schweizer Medienunternehmen Ringier. Weimer hatte seinen langjährigen Weggefährten in sein Entwicklungsteam beim Focus geholt.
Über sein Foto schrieb Hurek damals: „Das freut mich außerordentlich, auch wenn das Solidaritätskonzert ‘Gegen das Schweigen. Gegen Antisemitismus’ ein sehr trauriger Anlass war.“ Bei Igor Levit bedankt er sich, „den ich an diesem Abend mit der Kamera begleiten durfte.“ Am 27. November 2023 traten u.a. Wolf Biermann und die Toten Hosen auf.
Was das Foto besonders macht, ist Margot Friedländers Auge. Es ist nicht im Zentrum der Aufnahme, doch ist es bildbestimmend. Es dreht sich hier alles um dieses eine, offene Auge, das viel vom Grauen einer Welt gesehen hat, das wir nur vom Hörensagen oder aus Büchern kennen und doch wach erscheint. Das Auge einer über Hundertjährigen. Das Auge einer Zeitzeugin und unbestechlichen Mahnerin für die Menschlichkeit. Ein altes, nachdenkliches, doch warmes Auge, ein weit offenes Auge. Ein Augenblick, der fast verstummen lässt, weil er ergreift.
Der Pianist in seinen schwarzen Anzug und den schweren Stiefeln, bleibt nach dem Konzert auf der Bühne. Igor Levit, 66 Jahre jünger als die kleine alte Dame da, beugt sich vor. Er hockt an der Rampe um Margot Friedländer zu hören, die nach ihrer kurzen Ansprache nah an die Bühne gekommen ist. Ihre Köpfe, nur Profil zu sehen, berühren sich fast. Ringsum das Geschehen. Ein Augenblick von großer Intimität. Levit hält ihre Hand, während sie ihm ein paar Worte zuflüstert. Wir wissen nicht was, wir haben nur dieses ergreifende Bild.
Hurek likt einen Post von Düzen Tekkal, der Menschenrechtsaktivistin, Journalistin, Kriegsberichterstatterin und Politologin: „Danke für das große Geschenk Dich kennen gelernt zu haben! Für deine (Menschen) Liebe allen Menschen gegenüber und deine weisen Worte, die ich tief im Herzen trage und niemals vergessen werde. Du sagtest bei unseren letzten Gesprächen immer wieder: „So hat es damals auch angefangen“. Du hast Dir Sorgen gemacht um den Zustand der Welt und Gesellschaft. Wir dürfen niemals vergessen, was geschehen ist und das es wieder geschehen kann! Gerade in Zeiten, die uns gegenwärtig an der Welt verzweifeln lassen: Wir sollten uns an das erinnern, was uns aneinander bindet und füreinander verpflichtet: Das Menschsein.“
C.F.S.