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Hartmut Neumann öffnet „Verbotene Zonen“. Von Anfang und Ende, Utopie und Dystopie, Albtraum und Sehnsucht

Hartmut Neumann, Neben der Sturmflut, 2013

Mit weißen Schutzmasken vor Mund und Nase bewegen wir uns durch „Verbotene Zonen“. Kosmische Landschaften, synthetische Weltgerichte, sinister, verlockend, gloomy. Erhaben und verlockend, voller Abgründe tauchen da auf: „Höhlenblick“, „Blutsonne“, “Schwarze Wolke“, „Innerhalb einer großen Bewegung“, „Neben der Sturmflut“, “Pflanzenverwirrung“ oder “Nachterlebnisse“. Wo sind wir hier gelandet?

Hartmut Neumann, Neben der Sturmflut, 2013

„Ungeklärte Turbulenzen“, so der Titel des zentralen, wandfüllenden Monumentalwerkes, immerhin in den Maßen 360 mal 600 Meter, stellt uns ein suggestives Ineinander von pflanzlichen Wucherungen, durchdrungen von hellen, nebelhaften Strängen und Blitzen vor Augen. Darüber ein Himmel voller unidentifizierbarer Objekte und galaktischer Erscheinungen.

Unvermeidlich wird die gerade erst gebrochene „Dritte Welle“ der Pandemie weitere Wellen in unserem Bewußtsein auslösen. Nachbeben in der Tiefe unserer Psyche, keineswegs weniger gefährlich als die eigentliche Ursache. Die Corona-Pandemie erweist sich als idealer Nährboden für jede Schattierung von Untergangstheorien, gerne auch in der Variante von Verschwörungstheorien. Es sind allesamt Anzeichen eines popularisierenden Alarmismus, der sich einem konkreten Wissen und dem darauf gründenden Handeln zu entziehen sucht. Dafür aber jede Menge Untergangsängste, die die imaginierten Zerstörung durch irrationale Emotionsfeuer anfachen.

Daher wecken sie besonders gerne Ängste, beschwören Untergangsszenarien herauf, die es dann  mit aller Gewalt zu verhindern gilt. Es gibt da die Eingeweihten und Einsichtigen, die Warner und Retter auf der vermeintlich guten Seite und auf der anderen, die Leichtgläubigen, die Verführten, die verdummte Masse. Und dann gibt es noch die Gruppe der Verschwörer.

Verschwörungstheorien á la Pizzagate oder QAnon stehen derzeit hoch im Kurs, wen sollte es wundern? social medias und internet wirken wie Brandbeschleuniger. Wie alle Kulturkritik sind auch die diversen Verschwörungstheorien Beispiele für reaktionäre Bewusstseinsbildung aus der Fülle der Moderne heraus. Georg Simmel entwickelte schon um 1911 eine fundamentale Kulturkritik, die in der inneren Struktur der Kultur ihr eigenes Scheitern begründet sah. Sie laufen unter Camouflage. Sie tarnen sich unter selbständigem Objektivismus, sie zitieren Archetypen und pflegen einen nominalistischen Positivismus. Deshalb sind sie kaum von rationalen Warnungen zu unterscheiden, deshalb sind sie so wirksam wie erfolgreich.

Hartmut Neumann, Amsterdam im Jahre 2110 (Ins flache Land), 2016

Wer Neumanns „verbotenen Zonen“ betritt, bewegt sich also auf dünnem Eis. Ein Besuch im Untergeschoss des Museums wird hier zu einer aktuellen Herausforderung an unser Wahrnehmungsvermögen, unsere Unterscheidungsfähigkeit wird hart auf die Probe gestellt.

Kulturpessimismus, Anklage Naturschützermoral? – wer die gigantischen. tosenden gloomy-Bilder Neumanns genau betrachtet wird keine Spur davon finden. Der Maler entzeiht sich gerdaezu dem populärem Sog der Zivilisationskritik, er verweigert aller Weltuntergangssehnsucht weitere Nahrung, kein Chaos am Ende der Welt und auch keine Zurück-Zur-Natur-Seligkeit. Was er uns vor Augen stellt ist, so paradox es klingt, eine Erinnerung an die Zukunft, ein Blick in den Rausch des Daseins.

Ein weiter, beinahe liebevoller Blick, der uns gleichwohl erschrecken lässt. Natur erscheint in seinen Bildern in ungeheurer Prächtigkeit und außerordentlichen Schönheit – deshalb sind sie so verlockend. Kein Menschenwesen stört der Gewalten Lauf. Doch zeigt sich nirgends eine Spur einer Weltkatastrophe, noch überhaupt Überreste menschlicher Zivilisation, keine eingestürzten Neubauten, keine überwucherten Städte, nicht mal ein Autowrack. Keine Sentimentalitäten, keine Spur von Wehmut oder Nostalgie. So gesehen sind Neumann Tableaus weder romantische Landschaften noch utopistische Entwürfe. Am Ende der Reise durch Neumanns Bildwelten gewinnen wir Einblicke in tiefere Schichten. Was wir sehen zählt zu den seltenen darum kostbaren Feiern der Formen und Farben, ja der Malerei selbst. Ist das schon eine „verbotene Zone“?

 

Hier der Film über Hartmut Neumann von eiskellerberg.tv

 

 

Redaktion: Anke Strauch

 


 

Hartmut Neumann „Verbotenen Zonen“ Im Max Ernst Museum bis 29. Aug. 2021. Der vorzügliche Katalog enthält zwei lesenswerte Text von Achim Sommer und Andreas Bee.

Ein- und Ausblicke“ (mit Wolf Hamm) bei Galerie Beck und Eggeling, Düsseldorf bis 17. Juli 2021

 


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