„August“ ist bereits im März erschienen. Das neue Magazin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) ist „kein gewöhnliches Museumsmagazin“ verspricht Generaldirekorin Marion Ackermann im Editorial. „Wen befällt nicht das Gefühl einer wachsenden Isolation und Einsamkeit“? fragt sie und zeigt ihr blendendes Lächeln.
Da soll „August“ Abhilfe schaffen. Nicht etwa die Aussicht auf ein Ende aller Quarantänen, Ausgangssperren, Isolationsverordnungen im Hochsommer. „August“ meint den Starken, nicht den Sommermonat. Da mögen regionale Unterschiede in der Betonung eine Rolle spielen. Eine Förderung aus dem Hause von Monika Grütters (BKM) macht diesen ersten, rein sächsischen „August“ möglich. Übrigens „nur gedruckt“. In einer Zeit, in der wir gezwungen sind, unser Alltagsleben „fast komplett zu digitalisieren“ schreibt Ackermann, „wächst auch der Wunsch, wieder physische Nähe erleben zu können“ – und seis in Form des gedruckten „August“.
Chefredakteur ist Holger Liebs, der nach seinem schmerzlichen Abgang bei „Monopol“ nun in Dresden als Leiter Medien und Kommunikation und Pressesprecher der SKD wieder auftaucht. Er hat tatsächlich ein ungewöhnliches Museumsmagazin entworfen und auch ungewöhnlich gute Autoren für die Erstausgabe gewonnen, u.a. Tatort- Kommissar Axel Milberg, Nora Gomringer (Ingeborg-Bachmann-Preises 2015, Leiterin des Künstlerhauses Villa Concordia), Florian Illies, Gründer von „Monopol“, Generation Golf, 1913, Spezialist für Kurz-Karrieren.
Auffällig viele Fenster hat Liebs da im Magazin geöffnet – Fenster als letzter Kontakt zur Pandemie verseuchten Außenwelt? Wir sehen Beuys hinter seinem Atelierfenster am Drakeplatz 4, Edward Hoppers einsame Schöne sonnt sich in „Morning Sun. Wir blicken in den „Langen Gang“ im Dresdner Schloss, (neuerdings Teil der SKD), genießen Karl Gottfried Traugott Fabers wundervollen „Blick über Dresden“, Caspar David Friedrichs „Blick aus dem Atelier“, bewundern Carl Gustav Carus schmerzlich fernen „Balkon in Neapel“. Trost spendet hier ausgerechnet Gottfried Benn, „Wer allein ist, ist auch im Geheimnis“.
Könnte gut auf Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ gemünzt sein. Dieses Bild, das Vermeer als 25 jähriger in Delft malte, bewahrte über 300 Jahre lang ein Geheimnis. Dann rückten Röntgenaufnahmen dem Bild auf den Corpus. Unter einer schnöden Übermalung wurde ein Cupido sichtbar. Seit 2017 wird das Bild im Besitz des SKD nach allen Künsten der Dresdner Restauratoren wiederhergestellt und soll nun – nach coronabedingter Verschiebung – endlich ab 10.September im Mittelpunkt einer Schau „Johannes Vermeer. Vom Innehalten“ im gleichfalls frischrestaurierten Semperbau stehen. Diese Briefleserin ist die erste von insgesamt sechs Versionen, die Vermeer dem Thema des Brieflesens oder –schreibens widmete.
Zehn der insgesamt nur siebenunddreißig bekannten Gemälde Jan Vermeers (1632–1675, Delft) werden in Dresden die „bisher größte in Deutschland je gezeigte“ Vermeer Ausstellung bilden. Karten können jetzt schon vorbestellt werden.
Das Interieur (83 mal 64,5 cm) wurde übrigens wie auch „Bei der Kupplerin“, dem anderen in der Dresdner Kunstsammlung aufbewahrten Vermeerbild, von einem anderen August erworben. Der kriegsmüde Kurfürst Friedrich August II. (als August III. König von Polen) hat es einst in Paris erstanden.
Der Textbeitrag im „August“ stammt von Lászió F. Földényi. Dem hochmögenden ungarischen Kunstschriftsteller (zuletzt „Lob der Melancholie“) gelingt ein überraschender Blick auf die holländische Fensterkultur, „Draußen sollten die Menschen sehen, dass drinnen alles in seine Ordnung hat. Und umgekehrt sollen die Menschen drinnen zeigen können, dass ihr Leben ein offenes Buch ist.“ Auf den aufgetauchten Cupido geht er weniger ein.
Dieser Dämon des liebenden Verlangens blickt uns in Vermeers geheimnisvollem Gemälde direkt ins Auge. Der „Schönste der Unsterblichen“ (Hesiod), goldgelockt und goldbeflügelt, verkörpert „das Bittre und das Süße der Liebe mit fataler Gewalt.“ Ein vielnamiges, vielgestaltiges, bisexuelles Monstrum der Kleine. Vermeer besaß ein solches Bild. Gleich in drei seiner Werke taucht es auf, in der „unterbrochenen Malstunde“, auch hier war der Cupido einst übermalt worden (Die Frick Collection, New York wollte sich von ihrem Vermeer leider nicht trennen), sowie in der „Stehenden Virginalspielerin“ (um 1670-72, National Gallery London).
Wozu Vermeer diesen Amor in seinen Fensterfrauenbildern einsetzte, ist eine reizvolle Frage. Evangelisch getauft, zum Katholizismus konvertiert, zeigt Vermeer den Amor ohne Augenbilde, also sehend. Er folgt damit der neupaltonischen Theorie, die die Meinung nachdrücklich zurückwies, die Liebe sei blind. Vielmehr, schreibt Mario Equicola in seinem berühmten Libro di natura d´Amore von 1494, „…daß die Liebe ihren Ursprung im Anschauen hat.“ Man muß nur hinsehen.
Vermeer hat das Mädchen, dessen Kopf sich exakt in der Bildmitte befindet, direkt vor dem zweiteiligen Fenster positioniert, über das effektvoll ein roter Vorhang geschlagen ist. Das geöffnete Fenster erlaubt keinen Blick ins Freie. Es ist das einfallende Sonnenlicht, das auf den Brief fällt und doch auf eine Welt verweist, aus der der Brief gekommen ist
Ein zweiter grüner Vorhang bestimmt fast ein Drittel es Bildes rechts. Er gehört nicht zu dem engen Zimmer der Briefleserin. Mittels zwölf kleiner Ringe ist er an einer Messingstange vor dem Bild aufgehängt, scheinbar gerade eben erst zur Seite gezogen, damit wir beide sehen können, die blonde Briefleserin und den blonden Cupido, der uns beim voyeuristischen Blick ins Zimmer ertappt.
Dieser Vorhang ist nicht das einzige Trompe-l’œil in Vermeers Werk. Er erscheint hier zusammen mit den Äpfeln und Persischen Äpfeln (Pfirsichen) auf dem Tisch wie eine Anspielung auf den berühmten Malerwettstreit der Antike. Zeuxis malte Trauben so täuschend echt, dass die Vögel kamen, um sie anzupicken. Parrhasios aber malte einen Vorhang, den Zeuxis wegziehen wollte, um das Bild dahinter zu sehen – und wurde selbst getäuscht. Dieser grüne Vorhang erinnert an einen weit berühmteren Dresdner Vorhang, den über der Sixtinischen Madonna von Raffael (1512/13). Auch dieses Gemälde wurde übrigens erst von Augusts Sohn erworben.
Wir könnten versucht sein, den Vorhang zuzuziehen, die Briefleserin bei ihrer intimen Lektüre ungestört zu lassen und auch den freigelegten nackten Knaben da an der Wand wieder zu verdecken.
Redaktion: Anke Strauc
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Kern der Ausstellung bildet das „Brieflesende Mädchen am offenen Fenster“, dazu 9 Gemälde Vermeers, die zu dem Bild in mehr oder weniger enger Beziehung stehen. Etwa 50 Werke der holländischen Genremalerei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, darunter Hauptwerke von Pieter de Hooch, Frans van Mieris, Gerard Ter Borch, Gabriel Metsu, Gerard Dou, Emanuel de Witte und Jan Steen zeigen das künstlerische Umfeld Vermeers. Ausgesuchte Beispiele anderer Kunstgattungen wie Skulpturen, Druckgrafik, Porzellan und historisches Mobiliar werden in sinnfälliger Beziehung zu einzelnen Gemälden die Ausstellung bereichern. Der Maltechnik Vermeers und der aktuellen Restaurierung der „Briefleserin“ wird ein eigenes Ausstellungssegment gewidmet.
Johannes Vermeer. Vom Innehalten im Semperbau Dresden
10.09.2021 bis 02.01.2022 – hier Tickets buchen
Zu Gast in der Alten Pinakothek München: Jan Vermeers “Briefleserin in Blau”