Wie Hans Mayer den Maler zum Fotografen machte

Als Peter Lindbergh noch Sultan war

Lockenpracht und Schnurrbart. Lindbergh alias Sultan, 1969 vor seinem Gemälde

Der neue Assistent zeigt sein breites Grinsen: „Chef, du bekommst ein neues Auto!“ Der Galerist blickt ungläubig zurück. „Das alte habe ich gerade kaputt gefahren.“ Der schöne weiße Bulli, mit dem Hans Mayer tagein, tagaus durchs Land kutschiert war, um seine Ware an die Sammler zu bringen, war Schrott, Totalschaden! Der Assistent, erst eine Woche dabei, konnte trotzdem bleiben.

Mayer, nur vier Jahre älter als sein munterer Mitarbeiter, hielt an dem jungen Mann fest. Pit, wie er gerufen wurde, Student der Malerei an der Werkkunstschule beim Hard-Edge-Pionier Günther C. Kirchberger, sollte ab 1967 bei Mayer in Krefeld vom Assistenten zum Künstler der Galerie und lebenslangem Freund avancieren.

Als Pit Brodbeck, „viel zu kurze Hosen, lange Haare“, im neuen Bulli vor die Villa der Industriellenfamilie Willy und Fänn Schniewind, Seidenweberadel aus Elberfeld, fuhr, um einen Soto auszuliefern, machte die Sammlergattin (geb. Henkel) erschrocken die Tür zu. Doch Pit hatte schon seinen Fuß dazwischen. So kamen die beiden, die Sammlerin und der Fahrer, doch noch ins Gespräch. Fänn Schniewind rief wenig später bei Mayer an, um sich zu bedanken: „für den tollen Mitarbeiter.“

 

Galerie Hans Mayer, Ausstellungsansicht mit Sultans Malereien

Nach drei Jahren hatte der von Krefeld und dem Galeriejob die Nase voll, es zog ihn nach Istanbul. Zurück kam er als „Sultan“, so sein neuer Künstlername. Mayer stellte ihn aus. Am 6. September 1969 war groß Premiere am Ostwall. Sultan hatte einen Reigen großformatiger Schwarz-Weiß Bilder auf Metallplatten gemalt, die man in unendlichen Variationen kombinieren konnte, eine ganze Op-Art Wohnlandschaft. Die Ausstellung wurde ein totaler Flop. Alle 30 Gemälde erwiesen sich als unverkäuflich. Die Bilder hat Mayer immer noch, den schmalen Katalog hütet er bis heute wie einen Schatz. Den hatte Sultans Mitstudent Coco Ronkholz gestaltet. Auch Ronkholz war anfangs Hilskraft bei Mayer, später Lebenspartner und Ehemann von Roswitha Tolle, die wiederum 1977 als Tata Ronkholz in die neue Fotoklasse von Bernd Becher an die Kunstakademie Düsseldorf wechselte.

Was sollte aus Sultan nur werden?

Nach Ende der Ausstellung saß man beim Italiener auf dem Ostwall und guter Rat war teuer. Was sollte aus Sultan nur werden? Mayer hatte Hans Lux kennengelernt, „ein prima Fotograf aus Düsseldorf“. Also wurde Sultan Assistent bei Lux. Mayer zog dann 1971 nach.  Gemeinsam mit Denise René öffnete er in der Düsseldorfer Mühlenstraße den “Kunstmarkt für Grafik und Objekte”, wie sich der Laden anfangs tatsächlich nannte. Nebenan, in Spoerris Eat-Art-Restaurant traf Mayer Jimi Hendrix, Gabriele Henkel und andere, ziemlich bedeutende Zeitgenossen, Andy Warhol und John Lennon stellte er aus. Zu Pit hielt er Kontakt. „Und Lux hat schnell geschaltet, wie gut der Pit war“, freut sich der Galerist noch heute über den von ihm eingeleiteten Karriereschwenk seines Assistenten.

Der war gerade mal 26 und kaufte sich seine erste Kamera bei Foto Söhn in Düsseldorf, eine gebrauchte Minolta. „Teuer kann sie nicht gewesen sein, ich hatte kein Geld”, erinnert sich Peter Lindbergh noch Jahre später. Er fuhr damit zu seinem Bruder, um dessen drei kleine Kinder zu fotografieren, “meine ersten Fotos”. Das war 1971. Mit seiner Frau Astrid teilte er sich ein Atelier in der Ackerstraße. Brodbeck/Sultan war umtriebig und umgänglich, „ein super offener Typ, der easy mit den Leuten war“, schwärmt Mayer. Seine Frau führte die Bücher, die Kasse begann zu rappeln. Willy Fleckhaus wurde auf ihn aufmerksam, er erhielt erste Aufträge für den „Stern“. Mit Pina Bausch schloß er Freundschaft.

Und wieder änderte er seinen Namen. Lindbergh gefiel ihm. “Dieser Name hatte eine gute Aura und war international. Er steht für Abenteuer, er löst etwas aus, er hat mir bestimmt geholfen”, gesteht er Christoph Amend freimütig in einem Interview. Mit einem Grinsen dazu: “Hätte ich mich Altbeck genannt, wer weiß, ob ich heute hier sitzen würde!”

Ziemlich beste Freundinnen. Naomi Campbell, Linda Evangelista, Tatjana Patitz, Christy Turlington und Cindy Crawford (v.l.)

Ende der siebziger Jahre zog er über Nacht von Düsseldorf nach Paris, einen Auftrag des Magazins Marie Claire in der Tasche. “Mir ist es immer leicht gefallen, zu gehen”, hat der Vielflieger später gesagt, “die Welt gehört den Naiv-Sorglosen.” Als er damals in Paris landete, fiel ihm auf, daß er kein Wort Französisch sprach.

Dreimal holte Mayer den Fotografen Lindbergh zurück. In Mayers Dependance im Hafen kam es 1998 zu einer ersten Fotoausstellung. Die Besucher standen Schlange, die gesamte Kaistraße entlang. Dann noch zweimal am Grabbeplatz. Die Fotos gingen besser als die Malerei. „Sie wurden mir geradezu aus der Hand gerissen“, erinnert sich Hans Mayer und setzt dazu sein spitzbübisches, vielsagendes Mayerlachen auf.

Peter Lindbergh, wie ihn alle Welt nennt, war Ende 1944 im Wartheland (im annektierten westlichen Teil Polens) geboren. Sein Vater war Handelsvertreter für Süßigkeiten, seine Mutter Hausfrau. In Rheinhausen im Ruhrgebiet wuchs er auf. Weit weg vom internationalen Glamour der Zeitschriften und Werbekampagnen, von Mode und Supermodels. “Die Kultur bei uns zu Hause waren die Träume meiner Mutter”, hat er mal erzählt. “Es gab keine Bücher, keine Bilder, keine Filme, nichts bis auf ihre Träume, die sich leider nicht erfüllt haben. Sie wollte Sängerin werden.”

Liebling der Models. Peter Lindbergh umringt von seinen “Supermodels”,  New York, 1990

Lindberghs Grinsen, seine unverschämt gute Laune, diese direkte, unverstellte Art, auf Menschen zuzugehen, ist Teil seines Erfolgs. So nah und nahbar, so ungemein charmant und herzlich ging er später auch mit den Stars um, die er vor seiner Kamera bekam. Die spürten das und vertrauten ihm. Doch Lindbergh konnte auch klassisch. Seine Porträts von Pina Bausch, Geraldine Chaplin, Charlotte Rampling, oder der späten Jeanne Moreau zeien es: ungeschönt und gerade deshalb schön.

Es ging ihm nie um Perfektion, es ging ihm um Gefühle, um Momente, um Gesichter, die vom wechselvollen Leben der Menschen erzählen. Vielleicht gerade deshalb konnte er sich so ungewöhnlich lange in einer Welt halten, in der ein Look vom nächsten, eine Welle von der nächsten überholt wird und alles immer frisch und jung aussehen muß. Lindbergh aber blieb. „Vier Generationen von Modells“, berichtet jetzt Jim Rakete, einer seiner Wegbegleiter aus der Modewelt, „mußten da an seinem Strand in der Normadie frieren.“ Von Düsseldorf aus ist er mit seinem 4cv und vielen Freunden drin immer wieder an diesen Strand gefahren. Lingbergh war nicht nur gut im Gehen, er konnte auch sehr anhänglich sein. Oft ist er als „Junge aus dem Ruhrpott“ beschrieben worden, der in die große weite Welt hinaus wollte und selbst ein Großer wurde. Genauso gut ist er ein Gewächs aus Flingern. In der Düsseldorfer Kunstszene jener aufregenden Jahre ist er Fotograf geworden und viele Pop und Minimal von hier aus mit auf seinen Weg in die Welt mitgenommen.

 

Kurz mal Pause. Lindbergh im Yogasitz, auf dem Bett ausgestreckt Lothar Schirmer, Foto: Jim Rakete

Couture und Straße

In New York traf er Anna Wintours und machte sein erstes Titelbild für die amerikanische Vogue. Erstmals Haute Couture und Straßenmode gemeinsam auf einem Cover. Models wie Naomi Campbell, Cindy Crawford, Linda Evangelista, Christy Turlington, Tatjana Patitz und Claudia Schiffer brachte er in den achtziger Jahren zusammen und landete seinen nächsten Coup: Seine ungeschminkten Mädels wurden die „Supermodels“.

“Der Titel ist eher zufällig entstanden”, erzählte Lindbergh später, “ich habe das Model mit einer Kleinbildkamera fotografiert, es trug oben Couture-Mode und unten eine Jeans, die normalerweise nicht zu sehen gewesen wäre, weil man bei dem Format die untere Seite des Fotos abschneidet. Aber ich fing an, diese Mischung schön zu finden. Ich habe die Jeans also nicht weggeschnitten, sondern das Bild komplett Anna gezeigt. Und sie sagte: `”Das ist das, was ich machen will, eine Mischung aus Couture und Straße.”´

„Aber dann begann Ende der achtziger Jahre doch etwas Neues in Sachen textilwirtschaftlicher Frauenabbildung, und im Januar 1990 bekam das Phänomen auch seinen Namen. Auf dem Cover der britischen „Vogue“ waren fünf Frauen zu sehen, junge und schöne, aber durchaus individuelle Gesichter in schwarz-weiß. Ihre Kleidung ist schlicht, sie tragen Baumwolloberteile zu Jeans, das Make-up ist einfach, Tatjana Patitz steht gar eine ungeordnete Haarsträhne zu Berge. Diese fünf waren zu diesem Zeitpunkt die teuersten Models der Welt, und nach diesem legendären, teuren, modisch nachlässigem Vogue-Cover nannte man Naomi, Christy, Cindy, Linda und Tatjana nur noch die „Supermodels“. Für weniger als zehntausend Dollar, so ist von Linda Evangelista überliefert, steht keine von ihnen überhaupt nur auf.“ So Andrea Diener in ihrem sagenhaften Nachruf in der FAZ.

Die aktuelle Ausgabe der britischen Vogue ist wieder eine besondere. Die Herzogin von Sussex, Meghan Markle, fungierte als Gast-Chefredakteurin und bestimmte auch das Cover. Das Mosaik bemerkenswerter Frauen unter dem Motto „Forces of Change“ zeigt Jane Fonda, die Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, Greta Thunberg oder Jacinda Ardern. Alle Bilder sind, schwarzweiß, klar – und von Lindbergh.

Der Kunstpalast kündigt für das kommende Frühjahr (6.2. – 1.6.2020) eine Lindbergh-Werkschau an. Mit Untold Stories, so der Titel, wollte Peter Lindbergh noch einmal Neuland betreten und erstmals eine Ausstellung kuratieren. Anhand von etwa 120 Arbeiten aus den frühen 1980er Jahren bis heute zum Entdecken bislang unerzählter Geschichten einladen. Der Titel bleibt, die Ausstellung wird kommen. Wir werden ihn vermissen. Am 3. September ist Peter Lindbergh im Alter von 74 Jahren an einem Herzleiden gestorben.

 

 

                                                         Die Aliens kommen. Lindberghs Referenz an das Großes Kino

 

The Unknown – ein Foto-Roman “in Fortsetzung”, der Modeshootings vor der Kulisse einer fiktiven Landung außerirdischer Wesen inszeniert, war Lindberghs letztes Großprojekt. 1990 begonnen, spann Lindbergh dieses visuelle Abenteuer mit cineastischer Intensität bis zu seinem Tod weiter. Hans Mayer war der erste, der es 2002 in seiner Galerie ausstellte. Das Ullens Center for Contemporary Art (UCCA) in Peking präsentierte das Langzeitprojekt in überdimensionalen Wandbildern dann  im April 2011. Der Foto-Roman, wie das gesamte fotografische Werk von Peter Lindbergh, ist im Schirmer/Mosel-Verlag erschienen.

 

 

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HINWEIS:

Hans Lux, Leben in Bildern, 8. Mai – 27. Juni 2020 bei noir/blanche Galerie für Fotografie, Ratherstr. 34, Düsseldorf

 

 

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