Wiesbadener Raumver(m)ehrung. Neue Tuchverspannung zum Palermo-Jubliäum

Nach Palermo

Lange nichts mehr von Blinky Palermo gehört. Der stille, schlaue, verschmitzte, später weltberühmte Künstler, 1943 als Peter Schwarze in Leipzig geboren, wäre in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden. Die Kunstwelt hat diesen Geburtstag problemlos überstanden, ansonsten ein Jubiläum wie kein anderes. Keine Kunstgalerie, keine Sammlung und kein Museum mit Palermo-Werken bewegt sich. Nicht in Darmstadt oder Düsseldorf, nicht in München oder Bonn, weder in Leverkusen noch in Berlin und auch nicht in Traunreut, wo in diesem Jahr der 80. Geburtstag von Palermos Entdecker und Galerist Heiner Friedrich in seinem MAXIMUM gefeiert wurde. Wenn da nicht das Museum Wiesbaden wäre.

In einer „Kabinettausstellung“ erinnert das hessische Landesmuseum an den stillen Star, dem immer noch die Aura des frühverstorbenen Genies umweht. Dabei besitzt das Wiesbadener Museum gar kein Werk von Palermo. Umso überraschender, daß es in seiner Hommage á Palermo mit einer Sensation aufwarten kann: Ein neuer Palermo-Raum. Tatsächlich läßt sich in Wiesbaden sogar die mit Abstand größte Tuchverspannung sehen und betreten. Es ist Palermos größte Rauminstallation, die einzige, die es überhaupt irgendwo in einem Museum gibt. – Wenn sie denn von Palermo stammt.

Kurator Jörg Dauer, der auch stellvertretender Museumsdirektor und Kustos für moderne und zeitgenössische Kunst ist, spricht von einem „Experiment“, einer Stoffarbeit „nach Palermo“. Eine Gradwanderung träfe es besser, eine Spekulation dazu. Sensation wäre, im Konjunktiv gesprochen, schon allein deshalb angesagt, weil Palermos Beitrag zur internationalen Nachkriegs-Avantgarde vor allem in seinen Raumbildern zu finden ist. Palermos Bedeutung wird in seiner Erweiterung des Begriffs Malerei manifest. Palermo erweiterte die Malerei, indem er die Farbe zur „Raumfarbe“, zur „Raum artikulierenden Farbe“ werden läßt (Dierk Stemmler). Stoffbild, Wandmalerei und Tuchverspannung sind sein Weg, die Malerei in den Raum transzendieren zu lassen. Also keine Kleinigkeit, dieser neue Palermo-Raum in den Maßen von immerhin 16 mal 9 Metern bei 4 Metern Raumhöhe.

Wie kommt es überhaupt zu dieser neuen Stoffverspannung, 41 Jahre nachdem Blinky Palermo, alias Peter Schwarze, alias Heisterkamp, unter nicht ganz geklärten Umständen während einer Ferienreise auf Kurumba (Malediven) verstarb?

“Das Publikum ist gut, aber nicht zahlreich”

Die Vorgeschichte ist spannend genug:

Im turbulenten Jahr 1968 schlossen sich Kunststudenten der Karlsruher Kunstakademie zur Gruppe PUYK (Kroatisch für Widerstand) zusammen, um erst in der Aula, später in einer leerstehenden Druckerei ihre „kritische Akademie“ mit Aktionen, Vorträgen und Kunstausstellungen abhalten zu können.

Im Sommer darauf schrieb der Sprecher und Schriftführer der Gruppe, Helmut Schweizer, einen Brief an den „lieben Palermo“, um ihn für eine Ausstellung in ihrem „künstlerischen Kommunikationszentrum“ zu gewinnen. Die Maße des neuen PUYK-Raums gab er gleich mit auf den Weg: 28 m lang, 10 m breit und 3,2 m hoch. Auch den Fußboden beschrieb er: “besteht aus groben Holzdielen”. Publikum? “…ist gut, aber nicht zahlreich“, versuchte Schweizer den nur drei Jahre älteren Künstlerkollegen zu locken. „Finanziell können wir uns nur mit Plakat und Einladung beteiligen, unsere Mithilfe steht natürlich zur Verfügung.“

Tatsächlich antwortet Palermo aus Düsseldorf nur ein paar Wochen später dem „Lieben Schweizer“. In seinem Brief ging Palermo auf das Angebot aus Karlsruhe ein und lieferte auch gleich eine farbige Projektskizze auf Millimeterpapier für den von Schweizer genannten Raum. Erst wird Palermo die Isometrie für die Tuchverspannung auf das Blatt gesetzt haben, Blau der Stoff, Rot die Türen, sonst keine Vorgaben, dann setzte er handschriftlich ein paar Zeilen an Schweizer dazu.

Palermo und Schweizer waren sich durch Vermittlung von Lothar Baumgarten schon im Herbst 1968 in Düsseldorf begegnet, dann wieder Anfang Mai 1969 im Rahmen der Auseinandersetzungen um Beuys´ Stellung in der Düsseldorfer Kunstakademie. Der Kontakt lief über Immendorff und Beuys. „Wir waren in Solidarität mit Beuys und Immendorff aus Karlsruhe angereist“, erinnert sich Schweizer. Man kannte sich bereits gut von Veranstaltungen, zu der PUYK die beiden Kollegen aus Düsseldorf in die Aula der Karlsruher Akademie eingeladen hatte. Dann trafen sie sich schon Anfang Juni in Hannover erneut. Manfred de la Motte organisierte damals für den Deutschen Künstlerbund eine Jahresausstellung in Hannover. Palermo wie auch Schweizer waren eingeladen, Palermo beteiligte sich mit einem Stoffbild, Schweizer mit Zeichnungen. Gemeinsam zog man durch die Herrenhäuser Gärten. Schweizer schwärmt noch heute von „wundervollen Stunden im barocken Labyrinth“. Auch zeigte er Palermo eine Mappe mit Fotos seiner Arbeiten im PUYK Raum, dabei auch von seinen Aktionen mit Uranbergen und den Stickstoff-Wolken. Palermo fand das „super“.

Am Abend traf man sich zur Eröffnung in der Galerie Ernst. Palermo zeigte dort eine erste Tuchverspannung. „Eröffnung mit viel Saufen“, erinnert sich Schweizer undeutlich. Durch diese Begegnung ermutigt, entschloß er sich, Palermo nach Karlsruhe einzuladen. Aus dem Projekt wurde dann nichts. Die Künstlergruppe wurde derart schnell erfolgreich und zu vielen Kunstausstellungen eingeladen, daß sie den Raum alsbald wieder aufgab. Palermo zog es nach New York.

Blau und Rot. Palermos Entwurf zu einer Rauminstallation in Karlsruhe aus dem Jahr 1969

Nachdem der DinA3 große Palermo Brief Jahrzehnte lang unbeachtet und vergessen in einem Ordner bei Rolf Busam von der PUYK-Gruppe in Karlsruhe gelegen hatte, gelangte er samt einem Durchschlag des Anschreibens zurück an Helmut Schweizer, der mittlerweile selbst nach Düsseldorf gezogen war, um hier sein zeitkritisches Werk zu entwickeln.

Erst vor zwei Jahren entschloss sich Schweizer, beide Briefe ausgewählten Museen mit Palermobeständen anzubieten, immer in der Hoffnung, daß sich der Entwurf zu einem Karlsruher Palermo-Raum bald umsetzen liesse. Kein einziger Palermo-Raum, auch keine Stoffverspannung hat sich nämlich erhalten. Das Kunstmuseum Bonn bewahrt 42 Palermo-Räume in einer vom Künstler selbst angefertigten Dokumentation auf. Dennoch schreckten die Museen zurück. Auch war nicht klar, wie das Palermo-Blatt einzuschätzen sei, als Brief mit Entwurfsskizze, oder als Entwurf mit handschriftlichem Zusatz. So kam der Sammler und juristische Beistand des Palermo Estate, Dr. Kurt Büsser, ins Spiel. Der Wiesbadener Sammler, versicherte zwar, die Stoffverspannung auch 50 Jahre nach dem Entwurf “in einer kunsthistorisch vertretbaren Art und Weise” realisieren zu wollen und sich dazu auch schon das Einverständnis des Palermo-Erben Michael Heisterkamp (des Zwillingsbruder des Künstlers) eingeholt zu haben. Doch scheiterte auch diese Kaufanbahnung letztlich am Preis.

So gab Schweizer das Blatt schließlich zur Auktion ins Kunsthaus Lempertz, wo es am 1. Juni 2017 als „Untitled (Entwurf für eine Stoffverspannung)“ für 24.000 Euro einen Zuschlag fand (mit Aufgeld fast 30.000 Euro). Der Käufer blieb unbekannt.

Büsser liess sich von seinem Vorhaben keineswegs abbringen. Mit Palermos 75. Geburtstag in diesem Jahr fand er die  Gelegenheit, dem Wiesbadener Museumzum aus seinen Sammlungsbeständen eine Reihe Grafiken und auch eine Serie von Metallbildern (sog. Aluminiumbildern) für die Hommage á Palermo auszuleihen und endlich noch den Palermo-Entwurf von 1969 umzusetzen. Den Brief habe, wie Büsser sagt, auf seinen Hinwies hin ein befreundeter Wiesbadener Sammler erworben und nun dem Musem ausgeliehen. nbsp]

“Er ließ alles an sich herankommen. Er war eine sehr poröse Natur”, erinnert sich Joseph Beuys sieben Jahre nach dem Tod seines Lieblingsschülers. Ob er auch den neu entstandenen Palermo-Raum gut geheißen hätte?
Was ist mit dieser posthumen Ehrung gewonnen?

Durch den Vorstoß des Museum Wiesbaden ist ein Unding in der Welt. Palermo ist für die Leidenschaft und Sorgfalt, seine Präzision, mit der er zeitlebens zu Werke ging, berühmt geworden. Er hat den Raum, für den seine Skizze angelegt war, nie betreten, nie gesehen. Wie aber hätte er auf diesen Raum reagiert, wäre er dort erst zu Werke gegangen? Inwieweit hätte er seine Projektskizze etwa verändert? Wir können nur fragen, ahnen. Das Museum Wiesbaden gibt eine Antwort, verkürzt, verrutscht, wie übrigens auch der Titel der Ausstellung, wo der Akzent falsch sitzt.

Einerlei, wem die Projektskizze gehört und welche Rechte sich daraus ableiten lassen – ohne Maßangaben, ohne Angabe der Beschaffenheit des Stoffes oder des Blautons, auch ohne Angabe des Neigungswinkels, in dem die beiden Stoffbahnen im Raum angebracht werden sollen, muß das Unterfangen, diesen Raum “nach Palermo” zu verwirklichen eine Anmaßung bleiben.

Der Zwillingsbrunder von Palermo hat da mehr seinem juristischen Berater einen Gefallen getan, als seinem Bruder.

 

Redaktionelle Mitarbeit Katrin Tetzlaff

 


Hinweis

Dia: Chelsea, New York
Blinky Palermo: To the People of New York City
15. Sept. 2018 bis 16. Feb 2019

Palermos To the People of New York City kehrt nach dreißig Jahren wieder nach New York zurück. Die Dia Art Foundation spart nicht mit Lob: Es ist das opus magnum des Künstlers und sein Vermächtnis. Zuletzt war die 15 Arbeiten umfassende Serie zum 10. Todestag Palermos 1987 im Dia Center for the Arts, 548 West 22nd Street zu sehen. Die Palette der Farben sei den Farben der Deutschen Nationalfahne entnommen und erst nachträglich, nach einer Zuschreibung Palermos auf der Rückseite der Metalltafeln an die Menschen von New York City, zu ihrem Titel gekommen.

Palermo schuf die Serie von 40 Metallbildern während seines Aufenthalts in New York von 1973 bis 1976. Vollendet wurde die Serie jedoch erst, als er im Herbst 1976 nach Düsseldorf zurückkehrte. Nach Palermos Tod fand sie Heiner Friedrich in seinem Düsseldorfer Atelier wieder Februar 1977 und nahm es in sein Inventar auf.

Dia Art legt großen Wert auf die Aussage, dass die präzise Hängung der rhythmisch variierenden Formate besonders wichtig sei, „was auch an die Jazz-Auftritte erinnert, die Palermo während seiner Zeit in New York gesucht hat“.

 


Schütte, Thomas

ALLTHOMAS SCHÜTTE FILMTHOMAS SCHÜTTE TEXT Dirty Minimal. Oder warum Kunst radikal sein muss Die Dramaturgie zur Ausstellung ist perfekt. Die Eröffnung fiel auf den 19.

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